Dithmarscher Landeszeitung vom 15.07.2011 Tellingstedt:

Abschiebung der Familie Margaryan vertagt

Quelle Tellingstedt (ti) Aznaur Margaryan kann nicht mehr. Er ist angeschlagen, ist völlig fertig und wirkt fast schon hilflos. Seit mehr als elf Jahren wohnt er mit seiner Familie in Tellingstedt. Doch nun droht die Abschiebung. Der Flug nach Armenien war für kommenden Dienstag, 19. Juli, gebucht. Gestern, ein vermutlich letzter Gang zur Kreisverwaltung nach Heide. Aznaur Margaryan hat alle Mühe, seine Tränen zu unterdrücken. Seine Hände zittern, als er ein letztes Mal an der Zigarette zieht. Dann betritt er das große Gebäude. Die Zukunft seiner Familie steht auf dem Spiel. Wie es weitergehen soll? Der 37-jährige Vater von drei Kindern weiß es nicht. Das Gespräch mit dem Mitarbeiter der Ausländerbehörde dauert nur wenige Minuten.

Mit einem kleinen rosafarbenen Stück Papier verlässt Aznaur Margaryan das Gebäude. Scheinbar unbedeutend, aber ein doch sehr wichtiges Dokument. Die fünfköpfige Tellingstedter Familie wird einen weiteren Monat - bis zum 17. August - in Deutschland geduldet. Aznaur Margaryan kullern ein paar Tränen die Wangen hinunter. Aber es sind keine Freudentränen. Er ist frustriert, sauer, verärgert. Seit mehr als elf Jahren lebt die Familie in Dithmarschen. Eine Aufenthaltserlaubnis hat sie nicht. Sie wird in diesem Land, das sie mittlerweile als ihre Heimat bezeichnet, nur geduldet. Seit Jahren muss Aznaur Margaryan jeden Monat zur Kreisverwaltung. Jedes Mal wird ihm bescheinigt, dass er für weitere vier Wochen in der Bundesrepublik geduldet ist. Für eine Aufenthaltserlaubnis reicht es nicht. Und nun - ein erneuter Aufschub. Wieder nur ein Mensch, der geduldet wird.

Der große, kräftige Mann, der im Freundes- und Bekanntenkreis immer nur "Grischa" genannt wird, kann es nicht verstehen. Seine Familie ist in Deutschland integriert. Sohn Martin ist hier vor fünf Jahren geboren. Edmond (13) und Sargis (14) kennen Armenien überhaupt nicht. Jeder im Umfeld der Familie war erschüttert, als sie vor wenigen Tagen von der drohenden Abschiebung erfuhren. Durch die erneute Verlängerung der Duldung ist nun etwas Zeit gewonnen. Die Abschiebung storniert. Ansonsten hätte die Familie heute ihre Sachen packen müssen. Am Montag wären sie beim Landesamt für Ausländerangelegenheiten in Neumünster erwartet worden. Das ferne und vor allem für die Kinder so fremde Armenien war bereits so nah. Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die die Familie im September 2010 beantragt hatte, gibt es von der Ausländerbehörde in Heide keine positive Rückmeldung. Die Abschiebung ist damit nicht vom Tisch.

Landrat Dr. Jörn Klimant hatte vor gut zwei Wochen empfohlen, die Härtefallkommission in Kiel einzuschalten. Dieses zehnköpfige Gremium tagt am Dienstag, 16. August. Für einen Verbleib der Familie muss die Kommission ein Härtefallersuchen beim Justizminister Emil Schmalfuß stellen. Er allein kann dann anordnen, der Familie Margaryan eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Für Landrat Dr. Jörn Klimant und seine Mitarbeiter der Ausländerbehörde wäre das dann bindend. Der Familie Margaryan bleiben nun weitere vier Wochen der Ungewissheit. Die Entscheidung der Härtefallkommission muss abgewartet werden. Das zerrt an den Nerven. Mutter Susanna (36) ist bereits zu Hause zusammengebrochen. Sie wird nun im Westküstenklinikum in Heide behandelt.

DLZ vom 6.7.2011:

Raus aus Deutschland

Familie Margaryan aus Tellingstedt droht nach elf Jahren die Abschiebung ins "Heimatland" Armenien

Quelle Tellingstedt - Seit elf Jahren lebt Aznaur Margaryan (37) in Dithmarschen. Mittlerweile haben seine Frau und die drei Kinder in Tellingstedt ein neues Zuhause gefunden. Doch jetzt soll die Familie Deutschland verlassen. Der Familienvater ist geschockt von dieser Nachricht. Aber die Zeilen im Brief von der Ausländerbehörde des Kreises Dithmarschen sind ernst gemeint. Darin steht, dass die Abschiebung der fünfköpfigen Familie in deren Heimatland Armenien für Dienstag, 19. Juli, gebucht ist. Einen Tag zuvor sollen sie sich beim Landesamt für Ausländerangelegenheiten in Neumünster melden. Für den Flug nach Armenien dürfen sie lediglich 20 Kilogramm Reisegepäck und fünf Kilogramm Handgepäck mitnehmen. Der zwölfjährige Edmond, der von seinen Freunden immer nur liebevoll Eddi genannt wird, kann es nicht begreifen. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Seit Jahren spielt er in der Jugendmannschaft des MTV Tellingstedt Fußball. In den vergangenen Wochen haben ihm die Probestunden bei der Dithmarscher Musikschule sehr gefallen. Nach den Sommerferien wollte er in Heide zum Keyboard-Unterricht gehen. Alles schien perfekt.

Am vergangenen Freitag hat er sein Zeugnis von der Tellingstedter Gemeinschaftsschule erhalten. Er ist ein guter Schüler, die Noten belegen das. Die Versetzung in die siebte Klasse war nie gefährdet. Doch plötzlich scheint die Versetzung gefährdeter denn je. Den Start in das neue Schuljahr wird Edmond wohl nicht in Deutschland erleben. Die Ausländerbehörde folgt den knallharten gesetzlichen Vorschriften. Die Familie aus Armenien wird aus der Bundesrepublik hinausgeworfen. "Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll", sagt Aznaur Margaryan. Im Januar 2000 flüchtete der Familienvater mit seiner Ehefrau Susanna und ihren damals eineinhalb und zweieinhalb Jahre alten Kindern nach Deutschland. Überall auf der Welt gibt es Länder, aus denen Menschen fliehen. Die Gründe sind vielfältig: Armut, Krieg oder unterdrückte Meinungsfreiheit. Hunderttausende verlassen jedes Jahr ihre Heimat. So wie Aznaur Margaryan. Die Trennung von seinen Eltern vor elf Jahren war schmerzhaft - kurz danach sind sie verstorben -, aber für die Zukunft seiner Kinder sah er in Deutschland die besten Perspektiven.

Doch wer auf Dauer bleiben will, muss eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Vor gut zwei Monaten setzte sich der 37-Jährige mit einem Rechtsanwalt in Verbindung. Alle erforderlichen Unterlagen für diesen Antrag wurden zusammengetragen. Doch statt einer positiven Nachricht hält Aznaur Margaryan nun diesen Brief in den Händen. "Abschiebungstermin" ist in großen fetten Buchstaben zu lesen. Seine Ehefrau ist fassungslos und nimmt seitdem regelmäßig Schlaftabletten. Der 14-jährige Sargis wollte schon von Zuhause weglaufen. Er will nicht nach Armenien. "Was soll ich da?" Das Land seines Vaters ist ihm fremd, er kennt dort niemanden, die Sprache spricht er nicht perfekt, und die kyrillische Schrift beherrscht er erst recht nicht.

Auch seine Freunde und Mitschüler verstehen das nicht. Sie haben Unterschriften gesammelt, damit die Familie nicht ausreisen muss. Meike Moß aus Tellingstedt hat sofort unterschrieben. "Die Familie kann doch nicht einfach abgeschoben werden." Jahrelang ist ihr Sohn mit Eddi zusammen in die Grundschule gegangen. Der Zwölfjährige sei immer einer der beliebtesten Schüler gewesen. "Er ist superfreundlich und grüßt immer, wenn er mich sieht", sagt Meike Moß. Sie war den Tränen nahe, als sie von der Abschiebung erfuhr. "So etwas hört man oft aus Großstädten, aber nun betrifft es eine Familie aus Tellingstedt." Nur zu gerne erinnert sie sich an die Erlebnisse mit Eddi. Zum Beispiel, als er in der Schule ein Gedicht auswendig lernen sollte. Da sei er zu ihr gekommen, weil seine Mutter noch nicht so gut Deutsch konnte.

Jörg Schmidtke hat Edmond und Sargis das Schwimmen beigebracht. Der Leiter des Freibades in Tellingstedt pflegt vor allem zum Familienvater einen engen Kontakt. Grischa, wie er ihn nennt, sei ein netter Kerl. Die Familie habe sich seiner Meinung nach bestens in Deutschland integriert. Es gebe wohl kaum positivere Beispiele. Aznaur Margaryan wollte gern sein eigenes Geld verdienen. Doch der Familienvater durfte in Deutschland nicht arbeiten, die Erlaubnis hat er nie erhalten. Die Familie lebt deshalb von Hartz IV. Jahrelang war der 37-Jährige als Ein-Euro-Jobber im Freibad beschäftigt. Landrat Dr. Jörn Klimant hat Verständnis für die Ängste und Sorgen der Familie Margaryan. Jedoch müssten er und seine Mitarbeiter in der Ausländerbehörde sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. "Wir haben allerdings empfohlen, die Härtefallkommission einzuschalten." Das Gremium kann die Empfehlung aussprechen, die Abschiebung nicht durchzuführen. "An diese Empfehlung wären wir nicht gebunden, doch wir würden dem folgen", sagt Dr. Jörn Klimant. Am Freitag wird Eddi 13 Jahre alt. Seine Wünsche zum Geburtstag waren in den vergangenen Jahren schon bescheiden. Überglücklich wäre er allerdings, wenn er mit seinen Eltern und Geschwistern in Deutschland bleiben dürfte.

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