Birgit Gärtner 09.12.2005
Annalisa Gianella ist Sonderbeauftragte für Massenvernichtungswaffen des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana. Am 1. Dezember 2005 informierte sie im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (2) (SEDE) des Europa-Parlaments über das SALW-Programm (3) (s. a. den EU-Bericht The role of the European Union in tackling Small Arms and Light Weapons (SALW) proliferation (4)). SALW steht für Small Arms and Light Weapons - also sogenannte Kleinwaffen. Als sie berichtete, dass in Kambodscha Soldaten und Polizisten von der EU ausgebildet würden, horchte Pflüger, der Mitglied dieses Ausschusses ist, auf.
"Ich entgegnete, dass mir ein Militäreinsatz in Kambodscha nicht bekannt sei und fragte nach, was genau diese Maßnahme beinhalte", erläuterte er gegenüber Telepolis. "Daraufhin legte sie dar, dass diese Soldaten und Polizisten für die Registrierung von Waffen bei Entwaffnungsaktionen ausgebildet würden. Das sei aber keine Mission im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sondern eine zivile ´Joint Action` also ´Gemeinsame Aktion` im Rahmen der EU-Außenpolitik und werde aus dem Europäischen Entwicklungshilfefonds (EDF) finanziert."
Pflüger harkte nach: Er wollte wissen, wer das beschlossen habe, wer daran beteiligt sei und wie viele Soldaten im Einsatz seien. Dass Frau Gianella seinen Fragen auswich, machte ihn noch misstrauischer. Er begann zu recherchieren, zumal ihm der Begriff "joint action" völlig unbekannt war, wie er sagt.
Die Kambodscha-Mission taucht als militärischer Einsatz nicht auf, obwohl Soldaten beteiligt sind. Auf diese Weise werden EU-Militärs offiziell als Zivilisten deklariert und deren Einsätze in zivile "Gemeinsame Aktionen" umgewidmet, um sie mit zivilen Haushaltsgeldern bezahlen zu können. Das ist ein offener Bruch der EU-Verträge. Tobias Pflüger
Schwarze Kasse für Militäreinsätze?
Die Finanzierung von Militäroperationen ist scheinbar ein generelles Problem.
Bei der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen entstehen demokratisch nicht legitimierte und kontrollierte Schattenhaushalte. Im Rahmen des so genannten ATHENA-Mechanismus zahlen die EU-Mitgliedsstaaten für EU-Militäreinsätze in einen Extra-Topf, der explizit nicht ein EU-Haushaltstitel ist. Damit ist das Europaparlament außen vor und eine Kontrolle fast unmöglich.
Tobias Pflüger
Also existiert sozusagen eine schwarze Kasse, aus der Militäreinsätze finanziert werden? "Im Prinzip ja", bestätigt Pflüger diese Annahme. "Fragen Sie mal in 25 EU-Mitgliedsstaaten nach, wer wie viel in diesen Topf einzahlt. Auf meine diesbezüglichen Fragen im Auswärtigen Ausschuss (AFET), im SEDE und im Plenum des Europäischen Parlaments, bekomme ich keine Antwort."
Das ATHENA-Verfahren (5) werde aktuell für den größten EU-Militäreinsatz, den EUFOR-Althea-Einsatz in Bosnien-Herzegowina angewendet, so Pflüger weiter. In Zukunft solle es insbesondere für "Krisenreaktionsoperationen", also Kriegseinsätze der EU, genutzt werden:
Wahrscheinlich auch für die Einsätze der internationalen EU-Polizeitruppen - unter Beteiligung von schwer bewaffneten Einheiten der italienischen Carabinieri und der spanischen Guardia Civil -, die ab 1. Januar 2006 in Dienst gestellt werden sollen. Damit wird geradezu paradigmatisch die gewollte Vermischung von Zivilem und Militärischem vorgeführt.
Tobias Pflüger
Entwaffnungsaktionen
Der Kambodscha-Einsatz ist indes nicht neu, er wurde bereits im Dezember 1998 als Gemeinsame Aktion des Rates der Europäischen Union unter der Kennziffer 1999/34/GASP auf den Weg gebracht. Laut Angaben (6) des Auswärtigen Amtes war Diktator Pol Pot im April 1998 verstorben. Im Juli 1998 fanden Parlamentswahlen statt und im November desselben Jahres wurde die neue Regierung von der Nationalversammlung bestätigt und nahm Anfang Dezember 1998 einen Sitz in der UN-Generalersammlung ein. Knapp drei Wochen später ergaben sich zwei der noch aktiven Roten Khmer-Führer und einige Guerilla-Einheiten wurden in die reguläre Armee integriert.
Am 15. November 1999 nahm Rat der EU den Beschluss 1999/730/GASP (7) in Umsetzung der Gemeinsamen Aktion 1999/34/GASP als "Beitrag der Europäischen Union zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen in Kambodscha" an. Seither wurde die Dauer dieses Einsatzes regelmäßig verlängert, zuletzt am 22. Dezember 2004.
Die Recherchen von Tobias Pflüger und seinem Team ergaben, dass zudem seit dem 29. November in der Ukraine die EU mit der NAMSA (8) (NATO Maintenance and Supply Agency) einer NATO-Agentur, zusammen arbeitet. Auch hier sind offiziell als Entwicklungshelfer deklarierte EU-Soldaten als Ausbilder für Entwaffnungsmaßnahmen im Einsatz.
Die Ausbildung für Entwaffnungsaktionen scheint ein hehres Ziel, auch wenn es fragwürdig bleibt, militärische Aktionen Entwicklungshilfe zu nennen. Doch die Herausforderung bei solchen Operationen ist mitnichten die Registrierung der Waffen, sondern an diese heranzukommen - sie werden kaum freiwillig abgegeben, wie ausrangierte Klamotten bei der Altkleidersammlung. Dann würde die EU Logistiker schicken, die entsprechende Fachkräfte für Katalogisierung und Verpackung ausbilden - und nicht die Armee.
Auch das Beispiel Jugoslawien belegt den militärischen Charakter solcher Entwaffnungsaktionen: Tausende NATO-Soldaten waren (und sind) im Einsatz, um die UCK zu entwaffnen. Darunter auch Bundeswehrsoldaten, für deren Einsatz der Bundestag zig Millionen Euro zur Verfügung stellte. Experten zufolge diente dies jedoch weniger dem Ziel, die UCK tatsächlich zu entwaffnen, sondern war vielmehr ein "Schattenhaushalt, mit dem der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) im Jahr 2002 zusätzliche Waffensysteme (Dingo-Transporter, Wiesel-Kleinpanzer, Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, etc.) finanziert, wie Stefan Gose von der anti-militarismus-information (ami) Berlin vermutet (9).
Pflüger bewegt u.a. die Frage, ob Bundeswehrsoldaten auch an den so genannten Entwicklungshilfe-Einsätzen in Kambodscha und Usbekistan beteiligt sind. Völlig aus der Luft gegriffen ist diese Vermutung nicht, denn die Bundeswehr war, bzw. ist, bereits in der Vergangenheit an beiden Orten aktiv: In Kambodscha mit einem Militärhospital und in Usbekistan mit einem Militärflughafen. Von Mai 1992 bis November 1993 betrieben 140 Sanitätssoldaten ein Krankenhaus zur Betreuung von UN-Soldaten in Kambodscha. Am 15. Februar 2002 nahm die Luftwaffe in Termez/Usbekistan einen Luftumschlagplatz für die Versorgung des deutschen ISAF-Kontingents in Afghanistan in Betrieb.
Es bleiben viele offene Fragen in Bezug auf die dubiose Entwicklungshilfe der EU in Kambodscha und Usbekistan. Frau Gianella hatte angekündigt, einige davon im SEDE am 7. Dezember zu beantworten, doch dieses Versprechen hielt sie nicht ein. Pflüger wird versuchen, auf der Parlamentssitzung am 13. Dezember einige Antworten zu bekommen, rechnet sich aber wenig Chancen dafür aus.
(1) http://tobiaspflueger.twoday.net/
(2) http://www.europarl.eu.int/committees/sede_home.htm
(3) http://disarmament.un.org/cab/salw.html
(4) http://www.europarl.eu.int/meetdocs/2004_2009/documents/dv/salw_policydept-gq_/salw_policydept-gq_en.pdf
(5) http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/200401/p106015.htm
(6) http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?type_id=14&land_id=73
(7) http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2004/l_379/l_37920041224de01110112.pdf
(8) http://www.namsa.nato.int/
(9) http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Makedonien/gose.html
Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21535/1.html
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