Dreimal DLZ wegen Rechten

Auf dem Vormarsch

Rechtsextreme im Visier der Verfassungsschützer: Dithmarschen einer von drei regionalen Schwerpunkten im Land

Heide (zab)

Rechtsextreme Gruppen sind in Dithmarschen offenbar auf dem Vormarsch. Die Zahl der Straftaten mit einem rechtsextremen Hintergrund ist in den vergangenen Jahren gestiegen, und im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes heißt es, Dithmarschen sei einer von drei 'regionalen Schwerpunkten des schleswig-holsteinischen Neo-Nationalsozialismus'.

Insbesondere die Demonstrationen und Kundgebungen im vergangenen Jahr dienen den Verfassungsschützern als Beleg für erhebliche rechtsextreme Aktivitäten in Dithmarschen. Am 1. Mai und dem 10. September in Heide, sowie am 24. September in Brunsbüttel waren unterschiedlich große Gruppen auf die Straße gegangen ' koordiniert vom 'Aktionsbüro Norddeutschland'. Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass es sich bei den Demonstranten um Angehörige der 'in der Region Dithmarschen vorhandenen . . . Subkultur- und neo-nationalsozialistischen Szene' handelte.

Die Themen der rechten Kundgebungen waren vordergründig unverdächtig. So demonstrierten am 1. Mai 2005 in Heide rund 150 Rechtsextreme unter dem Motto 'Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen', eine Veranstaltung am 10. September in Heide (60 Teilnehmer) stand unter demselben Motto, am 24. September hieß es in Brunsbüttel (40 Teilnehmer) 'Gegen sexuellen Missbrauch'.

Die Mai-Demo in Heide wurde von der Szene anschließend gefeiert. Auf einschlägigen Seiten im Internet war von einer 'gelungenen Premiere für den nationalen Widerstand in Dithmarschen' zu lesen. Das Ziel sei gewesen, in Dithmarschen ein Zeichen zu setzen und das Potenzial nationaler Jugendlicher zu aktivieren. Und dies sei erreicht worden. Seit dem Dritten Reich habe es in Heide keinen Aufmarsch der 'nationalen und sozialistischen deutschen Jugend' gegeben.

Wohin der Weg führen soll, wird ebenfalls deutlich: Man wolle 'dieses asoziale System nicht reformieren, sondern abschaffen und durch ein nationales und sozialistisches Deutschland ersetzen'.

Joachim Albrecht, Leiter des Referats Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz, nennt die Kundgebungen 'Ausdruck der Bemühungen, die Kamerad- schafts-Szene zu beleben'. Für ihn und seine Kollegen war der Kreis Dithmarschen 2005 ein Schwerpunkt der Beobachtung.

Dabei dürfte die rechte Szene in Dithmarschen nicht sonderlich groß sein: Der Verfassungsschutz geht von rund 40 bis 50 Personen aus. Dass die Kundgebungen im vergangenen Jahr in Heide und Brunsbüttel organisiert wurden, war allerdings kein Zufall: Dort sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die regionalen Schwerpunkte der Rechten. Erkenntnisse, die von Brunsbüttels Bürgermeister Wilfried Hansen angezweifelt werden (siehe links).

In Brunsbüttel habe sich 'eine heterogene Misch-Szene aus Neo-Nationalsozialisten und Skinheads etabliert', so der Verfassungsschutz. 'Diese Entwicklung wurde möglich durch offenere Strukturen bei den Neo-Nationalsozialisten sowie eine gesteigerte Politisierung bei den rechtsextremistischen Skinheads.'

Heide sei allerdings 2005 das Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten in Dithmarschen gewesen. 'Nachdem bereits 2004 zahlreiche Aktivisten aus diesem Bereich (. . .) in die Organisation und Durchführung dreier rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte in Friedrichstadt eingebunden waren, etablierte sich dort ein Personenzusammenschluss, der neo-nationalsozialistische Positionen in die ÷ffentlichkeit zu tragen versucht.'

Frank Juckols ist Leiter des Kommissariats 5 der Bezirkskriminalinspektion in Itzehoe, genannt 'Staatsschutz'. Als 'Hochburg des Rechtsextremismus' möchte der Kriminalhauptkommissar den Kreis Dithmarschen nicht bezeichnen. Richtig sei aber, 'dass wir im Kreis Dithmarschen im Jahr 2005 und bisher fortgesetzt im Jahr 2006 eine augenscheinliche Zunahme von Aktivitäten und Straftaten der rechtsextremistischen Szene wahrnehmen müssen'.

2003 registrierte das K 5 noch 12 Straftaten mit einem rechtsextremen Hintergrund, 2004 waren es 13, 2005 bereits 19. Die etwa 50 Skinheads und Neo-Nationalsozialisten 'rückten überwiegend im Einzugsbereich der Kreisstadt Heide sowie im südlichen Dithmarschen durch temporäre Aktivitäten und Straftaten in den Fokus polizeilicher Betrachtung'.

Die Beobachtung der Szene ist allerdings außerhalb von Kundgebungen nicht ganz einfach. Regelmäßige Treffpunkte gibt es in Dithmarschen nach Erkenntnissen des Staatsschutzes nicht. 'Man trifft sich in der Regel in kleineren Bezugsgruppen im privaten Wohnumfeld', sagt K-5-Leiter Juckols. Was nicht bedeutet, dass Neonazis von Behörden in Ruhe gelassen werden. Verfassungsschützer Joachim Albrecht kündigt an: 'Wir werden die Szene in Dithmarschen weiterhin sorgfältig beobachten.'

'Erschreckende Geistlosigkeit der Phrasen'
Kommunen setzen auf Prävention

Dithmarschen (zab)

Die Verantwortlichen der kommunalen Ebene sind auf der Suche nach Erklärungen, warum ausgerechnet Heide und Brunsbüttel im vergangenen Jahr Schauplätze rechter Aufmärsche waren. Heides Bürgermeister Ulf Stecher (CDU): 'Neonazis gehen bewusst dorthin, wo sie wegen der Rahmendaten idealen Nährboden vermuten. Und wir haben hier ländliche Strukturen und eine hohe Arbeitslosigkeit.' Er findet insbesondere die 'Geistlosigkeit ihrer Phrasen erschreckend'.

Stecher stand zuletzt in der Kritik, weil er sich von antifaschistischen Gruppen distanziert hatte. 'Wenn sich aufrechte Demokraten in einer Reihe gegen Neonazis wehren, bin ich gerne dabei', sagt der Heider Bürgermeister. Nicht aber in einer Reihe mit Antifa-Gruppen, 'die das Gewaltmonopol des Staates nicht akzeptieren'.

Ein geeignetes Mittel gegen das Phänomen Rechtsextremismus sei ausreichende Prävention, beispielsweise durch offene Jugendangebote, wie sie im Jugendzentrum vorhanden sein sollen. Und schließlich werde auch die unlängst gegründete Stiftung gegen Rechtsextremismus und Gewalt 'ihren Weg finden'. Zurzeit seien verschiedene Projekte in der Entwicklungsphase.

Sein Kollege Wilfried Hansen (parteilos) kann in Brunsbüttel keine offene Szene erkennen. 'Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes kann ich so nicht teilen', sagt Hansen. Die Polizei berichte dem Hauptausschuss regelmäßig, eine regelrechte Szene im rechtsextremen Spektrum sei da bislang nicht thematisiert worden.

Auch Brunsbüttel setzt auf Prävention, gerade in der Jugendarbeit. Im Nordteil gibt es das Haus der Jugend, auf der Südseite den Jugendtreff. 'Auch dort hat es nie Auffälligkeiten gegeben', sagt Bürgermeister Hansen. Darüber hinaus tagt viermal im Jahr der kommunalpräventive Rat, ebenso häufig lädt Hansen die Schulleiter ins Rathaus zum Gespräch.

Landrat Dr. Jörn Klimant betrachtet die Entwicklung mit Sorge. Gerade erst wurde bei einer Neofaschismus-Ausstellung im Heider Kreishaus der NPD-Bezirksvorsitzende Ingo Stawitz rausgeschmissen.

Klimant berichtet von einem Projekt 'vernetzte Prävention', das in Hennstedt erfolgreich gearbeitet habe. Dort sei eine kleine rechte Szene vorhanden gewesen ' Jugendhilfe, Schule, Amtsjugendring und Eltern hätten das Problem dann gemeinsam bekämpft. 'Danach hat man sich auch offener dem Thema Ganztagsbetreuung gewidmet', so Klimant. Projekte dieser Art seien mit Hilfe des Kreises 'anlassbezogen' immer möglich, sagt der Landrat. Denn auf keinen Fall dürfe das Problem totgeschwiegen werden.

Zum Schutz der Demokratie

Der Verfassungsschutz Schleswig-Holstein ist eine Abteilung des Innenministeriums, in der rund 80 Mitarbeiter tätig sind. Er ist eine so genannte 'Beobachtungsbehörde'. Dort werden Informationen 'über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung' gesammelt, wie es heißt. Diese sollen dann mit denen anderer Nachrichtendienste und Behörden zusammengeführt werden. Dazu gehört das K 5 an der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe ' der 'Staatsschutz'.

DLZ vom 23.3.2006
Ingo Stawitz
Dazu passend noch ein Hinweis auf den bevorstehenden Prozess gegen Stawitz:

Es ist soweit: am 19. April 2006 beginnt der Prozess gegen vier Neonazis, die am 4.12.2004 beim NPD-Landesparteitag in Steinburg eine Antifaschistin verprügelt haben.

Angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung sind Ingo Stawitz, Stefan Köster, Pierre Lorenzen und Mario Indorf. Verhandelt wird gegen alle vier in einem Prozess; Verteidiger sind u.a. Jürgen Rieger aus Hamburg (Ingo Stawitz) und Wolfgang Nahrath aus Berlin (Stefan Köster), beide bekennende Nazianwälte.

Bislang sind vier Prozesstage anberaumt worden: 19.April, 26.April, 09. und 10. Mai 2006. Beginn ist jeweils um 10:00 Uhr, Amtsgericht Itzehoe, Bergstraße 5-7, Neubau.

Es wäre schön, wenn möglichst viele Antifas v.a. den ersten Prozesstag besuchen würden, damit nicht so viele Nazis Platz im Gerichtssaal finden...

Wir laden Euch deshalb zu einem Vorbereitungstreffen ein, das am Donnerstag den 13.April um 19:00 Uhr in der Alten Meierei in Kiel stattfindet.

"Ich dachte die schlagen mich tot"

Daraufhin erschien am 20.4. ein Bericht über den Prozess von (rd). Der Bericht ist durchweg verharmlosend. Wenn die Zeugin eine Aussage machte, wird se kommentiert mit dem Zusatz: "Sie war am Rande eines sogenannten "Schwarzen Blocks" mitmarschiert. Die Angeklagten Ingo Stawitz, Stefan Köster und ein 23- jähriger Harrisleer wurden entschuldigt. Obwohl es Aufzeichnungen von einem Filmteam gibt, schreibt die DLZ: "sollen sie kräftig zugelangt haben." Wobei kräftig zugelangt keine korrekte Beschreibung für einen "Sturmangriff" ist.

Mein Kommentar dazu ist, dass mich diese Weglaufzeremonien schon immer geärgert haben. Entweder man steht zusammen und lässt die Schwachen nicht im Stich, oder man geht garnicht erst hin. Um zu wissen, wie der Hase läuft, brauche ich nicht auf eine antifaschistische Kundgebung gehen.
LESERBRIEF

Allzu schmissig

Zum Artikel "Dithmarschen: Neonazis auf dem Vormarsch" vom 8. Mai: Der Bericht über rechte Aktivitäten in Dithmarschen ist nützlich. Er schadet sich aber selbst durch Stimmungsmache. Das menschenverachtende Großsfoto mit vier kahlen Schädeln, die nicht einmal aus Dithmarschen stammen: Ist das schon ein fescher Extremismus aus der gesunden Mitte?
Das Gesinnungsstrafrecht des gesunden Volksempfindens kam nur etwa zwölf Jahre bei Polizei, Gestapo, Justiz und Lynchjustiz zu Ehren. Amtliche Richtungseinordnungen von Bürgerverhalten und von polizeilich notierten "Straftaten" dürfen wir nur noch seriös vornehmen. Der allzu schmissige Altersabschied von Generalbundesanwalt Nehm zeigt einen exzessiven Machtmissbranch aus Stimmungsmache.
Der Grofsjurist erklärte eine folgenschwere Bluttat unter Betrunkenen in Potsdam fesch zur Staatsschutzsache. Der Kieler "Verfassungsschutzbericht 2005" nennt alle Gegendemonstranten vom 1.Mai 2005 in Heide Störer" (S.41). Zivilcourage "stört"... Wer möchte schon gern aus dem Innenministerium mit polizeirechtlichen Etiketten tätowiert werden, die vielleicht schon vor 1933- 1945 galten?
2000 hat Schröder protzig den "Aufstand der Anständien" gegen ganz rechts ausgerufen. Ehrlos mit viel Geschwätz eingebrochen. Das Verfassungsgericht war 2003 in der Tat viel zu anständig, Schrödors Verbotsantrag gegen die NPD auch nur zu verhandeln: Die vielen käuflichen V- Leute des Staates in der NPD- Spitze verrieten, was Volljuristen wie Schröder, Schily, Beckstein & Co unter Anstand und "Zivilcourage" verstehen.
Und in Heide? Die Verwechselung von an einer Bushaltestelle sitzenden deklassierten Männern mit "braunem Sumpf" (Leserbrief vom 12. Mai) ist wohl eine weiters Wortmeldung des hiesigen Extremismus aus der anständigen gesunden Mitte. Die stammeigenen Selektionsinstinkte funktionieren wieder.

Klaus Bohnsack Sarzbüttel