Ein Lied, das von den Opfern der Ns- Diktatur nicht gesungen werden kann

Aus: GEW- Papier über die Nationalhymne

  Den Deutschen aber bright das Lied aus der Brust, unwiderstehlich. soweit ihnen die Tränen der Freude nicht die Stimme im Hals ersticken, singen sie alle, alle ohne Ausnahme, das Deutschlandlied. Niemand, auch nicht ein einziger, ist dabei der von 'Einigkeit und Recht und Freiheit' singt. Spontan, wie aus einem einzigen Munde kommend, erklingt es "Deutschland, Deutschland über alles in der Welt." (Bunte Illustrierte Nr. 15, 1954)

Das Deutschlandlied ist das Lied (gemeinsam mit dem Horst-Wessel-Lied), das von 1933 bis 1945 zur Aufputschumg und Brutalisierung der großen Mehrheit der Deutschen diente. Es ist das Lied, das bei der Errichtung des KZ Dachau, bei der Zerschlagung der Arbeiterbewegung und beim ersten großen sogenannten "Judenboykott" im April 1933 entönte. Und es erklang bei der "Reichskristallnacht", wie die NS- Presse das Novemberpogrom von 1938 verniedlichend nannte. Es wurde gesungen, als deutsche Wehrmachtstruppen mit wehenden Fahnen in anderen Ländern einmarschierten, es begleitete die von Rudolf Hess mitorganisierterte systematische Massenvernichtung des angeblich "unwerten Lebens", der sogenannten Euthanasie. Es wurde lauter and lauter zu Kriegsbeginn und im Kriegsverlauf und es war allgegenwärtig bei den industriellen Massenmorden an sechs Millionen Juden und 500 000 Sinti und Roma.

Klaus Peter Schulz, der mit der Arbeiterbewegung verbunden, die Ns-zeit erlebt hatte, schreibt: "Gewisse Gefühlsmomente mögen für das Deutschlandlied sprechen; stärkere, gewichtigere, viel tiefer im Sittlichen fundierte Gefühlsmomente sprechen, ja schreien dagegen." Schulz schreibt: "All die eifrigen Verteidiger des Deutschlandliedes, die so häufig darauf hinweisen, wie wertvoll und gut gemeint der Text unserer Nationalhymne sei, und wie sehr wir doch gerade jetzt "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu unserem Glück gebrauchten, zielen mit ihren Argumenten am Wesentlichen vorbei." Die eigentlichen Gründe der Ablehnung des Deutschlandliedes lieges nämlich in der Wirkung auf einen großen Teil der Menschen: "dass der unpolitische deutsche Michel endlich wieder seine Ruhe hat: Nichts anders wird ihn so sehr wie das Deutschlandlied in seiner überzeugung bekräftigen, die Geschichte der letzten zwanzig Jahre (also der Ns- Zeit, AdV) sei eigentlich nichts anderes geweses aIs ein blinder, ungeschickter und niederträchtiger Zufall, an dem keiner, aber auch keiner von uns nur den geringsten Anteil habe!" Sein Haupteinwand ist: "dass die Entscheidung zugunsten des Deutschlandliedes unserem Volk die Illusion einer Kontinuität der deutschen Geschichte vorspiegelt, die tatsächlich nicht vorhanden ist."

Das Deutschlandlied war von vornherein gegen alle lügnerischen Beteuerungen nicht das Lied "aller Deutschen". So heist es in einem in 600 000 Exemplaren verteilten Heftchen des Hessischen Kultusministers, an die Schülerinnnen und Schüler gerichtet : "VieIe eurer Eltern und Großeltern konnten das Deutschlandlied nach dem Krieg , als Adenauer und Heuss es wieder aIs Hymne Deutschlands einsetzten, nicht mehr hören. Selbst die bei offiziellen Feierlichkeiten zu singende dritte Strophe, also die von "Einigkeit und Recht und Freiheit", ließ viele ältere zunächst nur zaghaft mitsummen oder singen, verbanden sie doch mit der

[Pullout: ] Melodie immer die Erinnerung an braune Diktatur und Krieg, Heute ist dies anders. Die jüngere Generation hat nicht die schlimmen Erfahrungen gemacht wie ihre Eltern und Großeltern. lhr Verhältnis zu unserer Hymne ist unbelasteter." (Schule in Hessen Nr. 2/89, Leitartikel "Deutschland, dein Lied")

Hinter diesen vier Worten steckt ein gauzes Programm. ... , die leben eh nur noch ein paar Jahre, Die "deutsche Jugend" ist "unbelasteter" und diese wenigen, diese paar, die trotz Nummer im Unterarm alles überlebt haben, die sind "belasteter", ja eine Last die endlich beiseite geschoben werden kann und soll. "Die Gnade der späten Geburt"!

Aber diese böse Rechnung, dieser demagogische Appell an die Jugend, darf nicht aufgehen. Es geht ganz und gar nicht darum, jene die zur Zeit Hitlers gar nicht geboren waren, in irgendeiner Form für diese Zeit "schuldig" zu speechen. Das tut such niemand, das wird nur atmosphärisch immer und immer wieder den Kritikern der Philosophie von der "Gnade der späten Geburt" unterstellt.

Die lügnerische Behandlung der Geschichte das Wegdrücken der Tatsache dass die Ermordung von Millionen von Menschen durch den NS- Staat mit Zustimmung oder Duldung sehr großer Teile der deutschen Bevölkerung, die in ihrer großen Mehrheit zur Zeit der Siege der NSDAP und dann der und dann der deutschen Wehrmacht hinter dem NS- Regime stand, durchgeführt wurde,- das alles ist die Verantwortung der heutigen Generation, ihres Verhältnisses zur Wahrheit, ihre verantwortliche und unverantwortliche Haltung zur Geschichte.

Und wenn der Großvater bei der Waffen- SS war und seinen Enkel dann nach 45 auf dem Schoß genommen und zu Weihnachten mit Geschenken überhäuft hat, und der Enkel beides weiß, dann ist das auch ein Zusammenhang, der kompliziert ist, und der nicht weggelogen werden darf. Erfahrungen, Erlebnisse, Einstellungen werden weiter gegeben, auf verschiedene Weise, ehrlich, verboten, bewusst, unbewusst, direkt, indirekt. Dieses Grundproblem zeigt sich auch an einem andered Beispiel. Als die jüdischen Partisanen in Polen den Kampf gegen das NS-Regime aufnahmen, wussten sie, dass sich die Morgensonne auch vcrspätcn kann, dass die Probleme der Nazlherrschaft nicht in einer Generation zu lösen sind und dass die Erfahrungen und Lieder ais Parole weitergegeben werden von "dor zu dor" von Generation zu Generation. Das Deutschlandlied steht unter aller Kritik, es ist von vornherein und in jeder Hinsicht durch die Grauen der Ns- Zeit mit dieser Zeit unlösbar verknüpft. Aber es muss dennoch Gegenstand der Kritik sein. Denn in diesem Lied kristallisiert sich in bemerkenswerter Weise, als Symbol des Nationalismus nun im "großen Deutschland" eine ganze Fülle von Mechanismen, die den Nationalismus so gefährlich machen.

GEW- Papier zum Deutschlandlied:

Kranke Hirne

Von Gerhard Wagner - geschrieben am 17.Juni

  August Heinrich Hoffmann war jahrelang auf der Flucht vor der preußischen Polizei. Als Vertreter des bürgerlichen Liberalismus setzte er sich für Freiheitsrechte und die Uberwindung der deutschen Kleinstaaterei ein. Das von ihm verfasste Lied der Deutschen erregte in höchstem Maß die Gemüter der reaktionären preußischen Obrigkeit. Besonders der Text der ersten Strophe stieß ihnen übel auf.

Beschäftigte er sich doch mit dem Ideal des vereinigten Deutschlands, das die Herrschaft einzelner Fürsten in Frage stellte. Diese Einigkeit stellte Hoffmann über alles in der Welt. Hoffmann wurde ausgebürgert. Schon die Entscheidung, heute nur die dritte Strophe aIs Hymne gelten zu lassen, ist eine Diskreditierung des Deutschlandliedes und seines Verfassers. Wer jedoch selbst die dritte Strophe in Frage stellt, hat entweder keine Ahnung von geschichtlichen Zusammenhängen oder will eine Diskussion für ideologische Zwecke missbrauchen.

Die GEW, in erster Linie eine Interessenvertretung von Grund- und HauptschulIehrern, war schon immer für ihre linksextremen Vorstandspositionen bekannt. Insofern ist der Vorstoß, ausgerechnet jetzt zur Fußball-WM nicht überraschend. Man könnte ihn als Ausgeburt einiger kranker Hirne abtun, die sich nicht einmal über die derzeitige Partystimmung in Deutschland freuen können. Es wäre wünschenswert, wenn die 260 000 Mitglieder der GEW ihren Führungskader dorthin schickten, wo derartige Krankheiten üblicherweise behandelt werden.

LESERBRIEF

Verständliche Warnung

Zum Kommentar "Kranke Hirne" vom 17. Juni:

Ihr Kommentar ist völlig überzogen. Tatsache ist doch, dass in der verständlichen Begeisterung über die bei uns stattfindende Fußballweltmeisterschaft überall nationale Symbole gezeigt werden. Wenn dabei unsere Nationalhymne, die sonst nur selten gesungen wird, plötzlich allerorts erklingt, so ist es doch verständlich, dass die Bildungsgewerkschaft GESV vor "übertriebenem Jubelpatriotismus" warnt. Uns sind die historischen Zusammenhänge, in denen das Lied der Deutschen seinerzeit entstand, wohl bekannt. Als 1952 die dritte Strophe dieses Liedes zur Nationalhymne der Bundesrepublik erklärt wurde, hatte man bewusst auf die erste Strophe verzichtet, die durch den Gebrauch im Nationalsozialismus in Verbindung mit dem Horst- Wessel- Lied diskredidiert worden war. So weit zu den von Ihnen angesprochenen historischen Zusammenhängen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat in ihren Reihen Lehrer aller Schularten, Erzieher, Sozialpädagogen und Beschäftigte im Hochschulbereich. Hunderttausende von Frauen und Männern engagieren sich in der Bildungsgewerkschaft des DGB. Wenn Sie in ihrem Einsatz für Ganztagsschulen, für Chancengleichheit, für eine bessere Bildungspolitik in Kommunen und Kreisen, in Land und Bund, linksextreme Positionen zu erkennen glauben, dann müsste die Mehrheit der an Bildungsfragen interessierten Bevölkerung linksextrem sein, teilt sie doch die Auffassungen der GEW. Wir stehen zu einem fairen Disput bereit! Johannes Wöllfert, Kreisvorsitzender der GEW Dithmarschen