Streit zwischen Bund und Kommunen
Clement soll bei Hartz IV getrickst haben
Die Kostenexplosion bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV geht nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios angeblich auch auf gezielte Manipulationen durch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement zurück. Clement soll 2004 die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) bewusst zu niedrig kalkuliert haben, um die Folgekosten auf dem Papier zu verringern. Damit habe er verhindern wollen, dass der Bundesetat 2005 schon bei seiner Vorlage erkennbar verfassungswidrig gewesen sei. Eine korrekte Schätzung der ALG-II-Kosten hätte zur Überschreitung der erlaubten Schuldengrenze nach Artikel 115 des Grundgesetzes geführt. Der Bund hatte 2004 ursprünglich angenommen, 23 Prozent aller Antragsteller für das neue Arbeitslosengeld II würden 2005 abgelehnt werden. Später wurde dieses Zahl auf 15 Prozent reduziert. Aktuell werden sogar nur 12 Prozent aller Anträge abgelehnt, was zu zusätzlichen Mehrkosten führt.
Verfassungswidriger Etat
2,4 oder nur 2,1 Millionen ALG-II-Empfänger?
Die Informationen decken sich mit Angaben der "Rheinischen Post". Die Zeitung beruft sich auf Protokolle aus Verhandlungen Clements mit dem Präsidium des Deutschen Städtetages vom 15. Mai 2004. Danach rechnete der Städtetag damals mit insgesamt 2,4 Millionen Empfängern von Arbeitslosenhilfe, die ab Januar 2005 in das neue ALG II übergehen. Clement habe aber nur 2,1 Millionen eingeplant. Clement habe dazu gesagt: "Selbst wenn eure Zahlen richtig sind - ich kann nicht mehr Geld bereitstellen, weil dann der Etat verfassungswidrig wird", zitiert die Zeitung einen Teilnehmer der Verhandlungen mit dem Städtetag. Der Städtetag wollte allerdings auf Nachfrage von tagesschau.de den Bericht weder bestätigen noch dementieren.
Ministeriumssprecherin: Es waren "Schätzungen"
Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums bestätigte auf Nachfrage von tagesschau.de das Gespräch mit dem Städtetag grundsätzlich. Sie betonte aber, dass die Zahlen, die beide Seite vorgelegt hatten, Schätzungen gewesen seien. Es liege in der Natur der Sache, dass Schätzungen unterscheidlich ausfallen; dies habe nichts mit Manipulation zu tun. Clement habe die Pflicht gehabt, auf die Haushaltsrisiken hinzuweisen, die sich aus diesen geschätzten Zahlen ergeben könnten.
Clement: Koma-Patienten arbeitsfähig erklärt
Die Kosten für das Arbeitslosengeld II werden vom Bund übernommen, die Kosten für nicht arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger von den Kommunen. Clement hatte Städten und Gemeinden vorgeworfen, sie hätten in größerem Umfang Sozialhilfeempfänger, die nicht arbeitsfähig seien, an die Bundesagentur für Arbeit abgeschoben. "Wir sind von den Krankenkassen darauf hingewiesen worden, dass selbst Koma-Kranke für arbeitsfähig erklärt wurden oder auch Aids- und Suchtkranke." Die AOK Baden-Württemberg bestätigte den Verdacht des Bundeswirtschaftsministers. Allein in dem Bundesland gebe es hunderte Fälle.
Kommunen: Nur durch Clements "Nervosität" zu erklären
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund wies die Anschuldigungen hingegen empört zurück. Die Kommunen arbeiteten größtenteils in Arbeitsgemeinschaften mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) zusammen, sagte der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, im DeutschlandRadio Berlin. "Das heißt: Beide haben die Akte, beide kennen die Leute." In der "Sächsischen Zeitung" sagte Landsberg, Clements Vorwürfe seien "nur durch eine gewisse Nervosität angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen zu erklären".