Die Stadt hatte sich im Vorfeld dazu entschieden, die Anmeldung des Nazi-Marsches hinzunehmen, ohne den Versuch eines Verbotes zu machen. Diese riefen denn in Flugblättern mit dem Absender "Nazis in Holstein" zum Marsch auf. Anmelderin war Inge Nottelmann, verantwortlich für die Flugblätter zeichnete Tobias Thiessen, beide aus Henstedt-Ulzburg. Ein einzelner Schüler aus Heide klagte vor dem Verwaltungsgericht gegen den geplanten Ausmarsch, der Antrag wurde aber abgelehnt. Er habe schließlich, so die Richter, die Möglichkeit, sich mit politischen Aktionen vor Ort gegen den Naziaufmarsch zu wenden.
PolizeiGenau das versuchte die Polizei zu verhindern. Da die mehreren hundert GegendemonstrantInnen an kaum einer Stelle gemeinsam auftraten, sondern in Gruppen mit 20 bis 70 TeilnehmerInnen agierten, ließ die Polizei das Verwaltungsgericht links liegen und kümmerte sich direkt um den "Schutz" des Nazi-Marsches. Rund 70 DemonstrantInnen wurden am Böttcher-Rondell über Stunden in einem Kessel festgesetzt, weitere erhielten "Platzverweise" für den Raum des Aufmarsches - nicht eben gute Voraussetzungen, um sich mit politischen Aktionen vor Ort für die Demokratie einzusetzen, wie das Verwaltungsgericht in Schleswig dies naiverweise vorgeschlagen hatte.
Sitzblockaden wurden mal sanft zur Seite gedrängt, mal durch anstürmende Polizei in schwerer Schutzkleidung erschreckt, mal mit Knüppeln zerschlagen. Schließlich wurden Hunde losgelassen, mehrere Demonstranten verletzt, einer wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.
Die Nazis wendeten sich mit Transparenten und Reden bei kurzen Zwischenkundgebungen gegen die Arbeitslosigkeit und den Sozialabbau. Die Schuldigen suchten und fanden sie im "System" und den vielen Ausländern. Die Globalisierung und die Visaerteilung waren ihre Gegner, dazu wurde Musik abgespielt, unter anderem von "Ton, Steine, Scherben", der linken Politcombo der siebziger Jahre.
Die anfangs recht kleine Versammlung musste, wie anderenorts auch, erst auf den Zug aus Hamburg warten, um die Zahl von 50 TeilnehmerInnen zu überschreiten. Die TeilnehmerInnen kamen im übrigen entgegen den Internet-Aufrufen kaum aus ganz Norddeutschland, sondern fast ausschließlich aus Schleswig-Holstein und Hamburg.
Die ursprünglich geplante Route musste um ein paar hundert Meter abgekürzt werden. Diese betrafen aber den wichtigsten Teil der Route, die eigentliche Innenstadt Heide mit dem Rondell als geplantem Ort der Zwischenkundgebung. Auch die Auflösung des Nazi-Marsches erfolgte dann 300 Meter vor dem vorgesehenen Ende, weil es denn doch zu viele Gegendemonstanten gab. Der größte Teil der Nazis verschwand wieder mit dem Zug in Richtung Hamburg.
Im Internet feierten die Nazis ihren Aufmarsch als "Sieg", was nicht verwundert, tun sie dies doch immer. Drei von ihnen waren festgenommen worden, weil sie Hakenkreuze trugen (zum Teil ins kurze Haar rasiert).
Dennoch bleibt es dabei, dass die Nazis ihre Leute in einem Umkreis von mindestens 200 Kilometer zusammenholen müssen, um einen erkennbaren "Marsch" formieren zu können, während Demonstrationen dagegen spielend die doppelte TeilnehmerInnenzahl aus den umliegenden Wohnhäusern zusammen bekommen.
Das Verhalten von Landrat, Bürgermeister und Polizei war erbärmlich. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, nicht eben als linksradikaler Gewalttäter verschrien, rief zum geplanten Nazi-Marsch durch Berlin am 8. Mai dazu auf: "Deshalb bitte ich Sie, am 8. Mai möglichst zahlreich ins Zentrum von Berlin zu kommen. (...) Der Tag der Demokratie soll zeigen, wem dieses Land gehört und wer bestimmt, wie es darin zugeht: die breite, demokratisch gesinnte Mehrheit unsere Volkes!" Bekanntlich konnte der dortige Nazi-Aufmarsch nach der Sammlung auf dem Alexanderplatz nicht starten und löste sich dann wieder auf.
Die Nazis verstanden anscheinend das Verhalten von Bürgermeister Stecher und Landrat Klimant als Unterstützung. Zumindest haben die Aggressivität und Bedrohungen von Nachbarn in Heide und Umgebung rund um den 1. Mai spürbar zugenommen. So rief Bürgermeister Jürgen Hinz aus Nordhastedt, selbst an diesem Wochenende von örtlichen Nazis bedroht, seine Einwohner dazu auf, bei Attacken durch "Männer mit allzu kurz geschorenem Haupthaar" sofort die Polizei zu rufen. "Die Polizei sei verständigt. Die würde in so einem Falle sofort kommen", berichtete das Heider Anzeigenblatt.
Reinhard Pohl
Ich möchte auf diesem Wege die Geschehnisse in der Danziger Straße schildern, die zu der späteren Eskalation an der Hans-Böckler-Straße führten.
Ich befand mich mit zirka 25 bis 30 anderen Gegendemonstranten ab Höhe der Sparkasse Danziger Straße direkt vor dem Aufzug der Neo-Nazis und behaupte, nein, ich sage, dass die Eskalation alleine von der Polizei aus ging, die mehrere Sitzblockaden, die von der Gruppe um mich herum ausgingen, brutal auflösten. Die Polizei setzte gegen die friedlichen Blockaden immer wieder Knüppel und Schutzhunde, die eigentlich, wie es der Name schon sagt, zum Schutz der Beamten ausgebildet werden, ein.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass über hundert Polizisten, die sich vor dem Aufzug befinden, sich nicht anders zu helfen wissen, als brutal auf eine Sitzblockade einzuschlagen. Niemand aus meiner Gruppe war bewaffnet, trug Schutzkleidung oder war gar vermummt, und jeder, der schon mal einen Polizeiknüppel abbekommen hat, weiß, was für Schmerzen durch so einen Schlag ausgelöst werden. Sicherlich hat es schon seinen Zweck, dass ein Knüppel Schmerzen verursachen soll, wenn es ein gewalttätiger Mob auf eine Schlägerei mit der Polizei abgesehen hat, aber in dieser Situation war der Einsatz der Schlagstöcke völlig unnötig und überzogen.
Bei den Sitzblockaden, die am Ende der Danziger Straße aufgelöst wurden, setzte die Polizei dann zu allem überfluss auch noch die vor dem Aufzug mitgeführten Hunde ein. Diese bissen sich an mindestens zehn Leuten fest, die entweder noch auf der Straße saßen oder sich schon in der Rückwärtsbewegung befanden. Einer der Hunde biss sogar in den Genitalbereich eines jungen Mannes und zerriss ihm dabei Pullover und Hose. In der darauf folgenden verbalen Auseinandersetzung wurden weitere Personen gebissen, und das Ganze gipfelte dann darin, dass plötzlich einer der Hunde ohne Leine und Herrchen durch die Menge stürmte. Ob er sich losgerissen hatte oder losgelassen wurde, wird wohl ungeklärt bleiben. Es dürfte ja wohl nachvollziehbar sein, dass schließlich Tritte gegen die Hunde erfolgten, da sich niemand gerne beißen lässt.
Sicherlich kann man das Fehlverhalten einiger weniger Polizeibeamter nicht auf die gesamte Polizei übertragen, aber ich werde mich, sollte ich mich hoch einmal an einer Demonstration beteiligen, auf jeden Fall mit einer Videokamera bewaffnen, um ein solches Fehlverhalten hieb und stichfest dokumentieren zu können und dafür zu sorgen, dass es für gewalttätige Beamte Konsequenzen haben wird, wenn sie blind auf Teenager einprügeln oder ihre Hunde wahllos zubeißen lassen.
Vorsitzender des Kreisjugendwerkes der AWO Dithmarschen