Bundeskanzler Schröder im ZDF-Interview mit Ruprecht Eser
Bundeskanzler Gerhard Schröder äußert sich im ZDF-Interview mit Ruprecht Eser am 6. April zum Irak-Krieg, zur außenpolitischen Linie Deutschlands und Europas sowie zu den innenpolitischen Reformen.
Frage (Ruprecht Eser): ... 18 Tage Krieg. Gibt es ein Bild in diesem Krieg, der so viele Bilder und so viele Geräusche hat, an das Sie sich vor allen anderen erinnern?
Antwort: Es gibt viele Bilder, an die ich mich erinnere, insbesondere Bilder von Opfern. Und das bestärkt mich in der Einschätzung, dass es richtig war, alles getan zu haben, um einen solchen Krieg zu verhindern, auch wenn das nicht gelungen ist.
Frage: Wenn man an die Opfer denkt, die Zivilisten und dann auch die Soldaten auf beiden Seiten, die Opfer geworden sind, dann kommt ganz schnell wieder die Frage: Wünschen Sie sich, wünschen Sie den Amerikanern einen schnellen Sieg, einen schnellen Erfolg?
Antwort: Man muss wünschen, dass dieser Krieg schnell zu Ende geht - und zwar der Opfer auf beiden Seiten wegen, auch der Opfer unter den Soldaten. Nachdem er nicht zu verhindern war, muss alles getan werden, dass er schnell zu Ende geht. Und natürlich wird er zu Ende gehen mit einem Sieg der Alliierten, anderes geben die Kräfteverhältnisse nicht her. Anderes kann in der jetzigen Situation auch nicht gewünscht sein.
Frage: Und Sie wünschen einen solchen schnellen Sieg?
Antwort: Man muss das als vernünftiger Mensch wünschen, denn jeder Tag, den der Krieg länger dauert, ist ein Tag, an dem es Opfer gibt und man kann keine weiteren Opfer wünschen. Insofern auch, wenn man so sehr dagegen war, dass dieser Krieg begonnen worden ist, muss man ein schnelles Ende wünschen der Menschen wegen, die darunter leiden. Ich denke, das geht jedem vernünftigen Menschen so.
Frage: Die Bilder, die wir seit 18 Tagen sehen, sind notgedrungen die Bilder dieses Krieges, der militärische Teil. Schließen Sie eine Perspektive aus, dass die Amerikaner diesen Krieg militärisch gewinnen, aber das man ihn politisch verliert im Ergebnis?
Antwort: Es wird politisch schwierig sein, die Nachkriegsordnung aufzubauen, denn natürlich ist neben den direkten Opfern auch viel in Frage gestellt worden. Deswegen wird es darauf ankommen, dass die Nachkriegsordnung unter dem Dach der Vereinten Nationen aufgebaut wird, denn das ist die Institution, die - glaube ich - über die zureichende Legitimation verfügt und mit der auch Vertrauen von Menschen in der Region verbunden wird. Das ist ja der Grund, warum wir uns so sehr einsetzen dafür, dass sowohl das, was jetzt nötig ist, humanitäre Hilfe zu leisten, was unter dem Dach der Vereinten Nationen geschieht, als auch das, was später kommen wird und kommen muss, nämlich der Aufbau eines demokratischen Irak, dass das unter dem Dach der Vereinten Nationen ebenso geschieht, denn die sind diejenigen, die es können und die über die Legitimation verfügen.
Frage: ... Sie lehnen diesen Krieg unverändert ab, machen das auch deutlich, auch in der Regierungserklärung am Donnerstag. Ansonsten fällt aber auf, der Kanzler (und) die Regierung sind in den letzten Wochen sehr vorsichtig. Viele sagen, die sind abgetaucht, weil sie neuen Schaden vermeiden wollen, neue Belastungen in den Beziehungen mit Washington.
Antwort: Nein, ich glaube, von Abtauchen kann keine Rede sein. Wir haben immer deutlich gemacht - in allen internationalen Gremien, auch in der deutschen Öffentlichkeit -, wo wir in dieser Frage stehen. Aber richtig ist natürlich, dass es gilt, eine Balance zu halten zwischen der Tatsache, dass wir gegen den Krieg sind auf der einen Seite und deutsche Soldaten sich deshalb auch nicht daran beteiligen - weder direkt noch indirekt -, und - ich rede von Balance - der Tatsache, dass wir Bündnispartner sind und bleiben und deswegen auch an die Zeit danach denken müssen, gar keine Frage. Ich glaube, dass wir diese Balance haben halten können. Das hat mit Verschweigen der klaren Positionen nichts zu tun. Das haben wir auch nicht getan. Und das hat erst recht nichts mit Abtauchen zu tun.
Frage: Zu der Balance gehört aber auch die Balance im Verhältnis zu Washington. Und die Frage ist: Suchen Sie eine neue Balance? Werden Sie auf George Bush im Mai zugehen bei der G 8-Tagung? Auch da ist ja vieles, was zu reparieren ist, denn Washington hat uns sozusagen abgeschrieben.
Antwort: Das glaube ich nicht, dass man das sagen kann. Während der ganzen Zeit ist auf vielen Ebenen - auf der Ebene der Außenminister, auf den Arbeitsebenen, wie man das nennt - natürlich geredet--
Frage: Aber den "back channel", den vertraulichen Rückkanal, den alle Regierungen immer hatten und gebraucht haben, den gibt es nicht mehr.
Antwort: Ich denke, während dieses Krieges waren die Positionen klar. Aber selbstverständlich wird man im Rahmen von G 8 - im Mai, Sie haben Recht, findet das statt in Evian - miteinander reden. Und nach allem, was ich weiß, wird natürlich auch über diese Frage geredet werden müssen. Das ist doch gar kein Problem, denn unabhängig von der Tatsache, dass wir in der Frage des Krieges unterschiedlicher Meinung waren, gibt es ja eine feste Basis zwischen Deutschland und Amerika, eine gemeinsame Wertebasis. Wir sind in Bündnissen zusammen. Und natürlich muss dann geredet werden. Und das Maß an Professionalität, das das auch ermöglicht, das können Sie auf allen Seiten unterstellen.
Frage: Auch das Maß an Bereitschaft und Souveränität, eine Geste Ihrerseits zu machen (und) auf George Bush zuzugehen?
Antwort: Ich habe überhaupt gar kein Problem damit. Solche Gesten hat es immer gegeben, die wird es auch weiter geben. Und sich sage es noch einmal: Unabhängig von den Unterschieden in der Einschätzung, was diesen Krieg angeht, sind wir Partner, enge Partner, nicht nur, aber auch in den Bündnissen. Und deswegen wird es natürlich auch wieder Gespräche geben.
Frage: Also, man kann es eigentlich kaum glauben. Es ist kein Jahr her, im Mai letzten Jahres war George Bush in Berlin. Da hat er in Anlehnung an seinen Vater noch mal von "Partnership and Leadership" gesprochen, also Partnerschaft bei der Führung. Heute sind wir bestenfalls fremde Freunde, wobei man "fremd" wahrscheinlich unterstreichen und "Freunde" in Tüttelchen setzen muss. Und wenn das Repräsentantenhaus am Donnerstag sagt, deutsche Firmen sollten nicht am Wiederaufbau Iraks beteiligt sein, zeigt das doch auch das Maß der Irritation, die immer noch da ist.
Antwort: Ja gut, die amerikanische Regierung hat dem, wie Sie wissen, widersprochen - und nach meiner Auffassung zu Recht. Und das wird auch gelten. Ich sage es noch einmal: Unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage, die man unter Freunden auch nicht verschweigen darf, wenn sie existieren, gibt es ein Arbeitsverhältnis, gibt es gemeinsame Wertvorstellungen. Die werden sich auch in Zukunft wieder durchsetzen, unabhängig von den Differenzen in dieser Frage. Und deswegen glaube ich, dass es richtig war, klar zu sagen, wo wir stehen, aber genauso richtig natürlich war und bleibt, dass wir an den Bündnisverpflichtungen nicht rütteln lassen. Mein Eindruck ist, dass das zunehmend auch verstanden wird.
Frage: ... Der Krieg ist noch zu Ende, aber gehen Sie davon aus, dass deutsche Firmen am Wiederaufbau Iraks beteiligt sein werden?
Antwort: Ich finde, es ist etwas schwierig, zu einer Zeit, wo Menschen dort sterben, über die Frage von Aufträgen für welche Firma auch immer zu reden. Ich gehe davon aus, dass Deutschland unter dem Dach der Vereinten Nationen seine internationalen Verpflichtungen erfüllt, also natürlich, wenn wir gerufen werden, auch helfen werden. Nur, in welcher Form sich deutsche Firmen an was beteiligen, das zu diskutieren, sollte man sich wirklich nach einem Krieg vornehmen. Jetzt geht es darum, eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden. Da ist Deutschland sehr engagiert. Sie wissen, dass wir es waren, die die VN-Resolution zustande gebracht haben - übrigens, von den Partnern sehr begrüßt. Und auf dieser Basis wird jetzt eine humanitäre Katastrophe zu verhindern sein, wird Hilfe zu organisieren sein. Und die Frage, wer dann später welchen Auftrag bekommt, das wird zu entscheiden sein, wenn der Krieg zu Ende ist, und auch, was das für unser Engagement bedeutet.
Frage: Und die Reparatur der Kollateralschäden, die wir jetzt schon besichtigen können, was das transatlantische Verhältnis anlangt, was die NATO anlangt, was die Beschädigung der UNO anlangt, die wird etwa genauso schwierig werden wie der Wiederaufbau des Irak?
Antwort: Ich hatte ja schon deutlich gemacht, dass in einer Frage, die gewiss wichtig ist, unterschiedliche Positionen da sind und die auch nicht verschwiegen werden dürfen. Auf der anderen Seite gibt es ein solches Maß an Gemeinsamkeiten, dass diese Schwierigkeiten überwunden werden. Wenn sie nur daran denken, was Deutschland alleine leistet - auf dem Balkan mit 4000 Soldaten, in Afghanistan mit 2500 -, ohne Deutschland liefe an Sicherheit im Raum Kabul nichts, aber auch gar nichts mehr. Wir sind zusammen mit den amerikanischen Partnern im Rahmen von "Enduring freedom", also im Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus auch militärisch engagiert. Man kann wirklich nicht davon reden, dass dieses Land unter meiner Führung seine Pflichten im Internationalen nicht erfüllte. Ganz im Gegenteil, es gibt Partner, die weniger leisten, aber mehr reden. Und wir tun unsere Pflicht.
Frage: Über diesen Krieg hinaus blickend; die Weltmacht Amerika führt diesen Krieg gegen die Weltmeinung, aber dahinter steht der Wille einer neuen Weltordnung und Ihre Antwort ist: Mehr europäische Emanzipation.
Antwort: Das muss so sein. Unsere Antwort ist zunächst einmal: Deutschland ist mit seinen Partnern daran interessiert, die Vereinten Nationen zu stärken, deren Möglichkeiten als Organisation, die für Frieden da ist und für friedlichen Ausgleich. Deutschlands Aufgabe ist im europäischen Maßstab dafür zu sorgen, dass in der Tat Europäer einiger werden und ihre Stimme deutlicher werden kann. Das schafft natürlich auch Verpflichtungen sowohl im Politischen wie im Ökonomischen, aber klar muss sein, dass diese - wie Sie es genannt haben - Emanzipation Europas eine ist, die im Rahmen der NATO, im Rahmen also der Bündnisse und als Partner der Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet. Es geht nicht darum, diesen Emanzipationsprozess zu organisieren gegen irgendjemanden, sondern als Europa und Europas Rolle im Verein mit anderen, die mit uns die gleichen Werte teilen.
Frage: ... Sie haben (die Rolle der UNO im Nachkriegs-Irak bereits angesprochen), sie haben das in der Regierungserklärung getan, die Europäer haben es getan, als Colin Powell am Donnerstag in Brüssel war, Tony Blair bedient das, er betont das, er will das. Jetzt kommen aber die Amerikaner und sagen: Erst einmal wir mit den Briten und die NATO möglicherweise an unserer Seite. Also, da deutet sich ja das nächste Problem an, um nicht zu sagen der nächste Konflikt.
Antwort: Ich glaube nicht, dass es zu einem Konflikt kommt, wenn man das genau liest, was Colin Powell (am Donnerstag) in Brüssel mit seinen Kollegen in Europa beraten hat, dann wird deutlich, dass man soweit gar nicht auseinander ist und ich glaube, dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist dafür zu sorgen, dass Wiederaufbau unter dem Dach der Vereinten Nationen stattfinden kann. Und wer im einzelnen welche Rolle spielt, ich glaube, dass kann man wirklich verständlich und verständig erst in der Phase nach dem Krieg wirklich beurteilen, weil man dann die Bedingungen kennt unter denen das stattfindet. Gegenwärtig sind die Bedingungen doch gar nicht sichtbar unter denen Wiederaufbau stattfinden muss und stattfinden wird.
Frage: Unter diesem Dach der UNO oder auch unter einem europäischen Dach, würden Sie deutsche Blauhelm-Soldaten hinschicken oder ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste?
Antwort: Das ist auch wieder so eine Frage - entschuldigen Sie, wenn ich das so deutlich sage -, die natürlich Journalisten interessiert, aber diese Frage stellt sich--
Frage: Mehr als nur die Journalisten.
Antwort: Nein, diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht. Nur zwei Antworten: Wir haben unsere Pflichten im Rahmen der Vereinten Nationen und unter deren Dach immer erfüllt und wir tun es noch. Ich muss nur darauf hinweisen, dass auch die Ressourcen Deutschlands begrenzt sind. Ich habe verdeutlicht, wo wir überall engagiert sind mit 10.000 Soldaten. Das sind ja nicht nur die, die aktuell da sind, sondern auch diejenigen, die sozusagen ausgewechselt werden müssen. Das heißt, wir engagieren uns in einem Maße international wie es (das) nie zuvor gegeben hat. Und deswegen sage ich: Ich möchte die Bedingungen kennen, unter denen gehandelt werden muss, und dann kann ich entscheiden, ob es verantwortbar ist, in welcher Form man es verantwortbar halten kann, sich zu beteiligen oder nicht. Das ist einfach noch zu früh, diese Debatte jetzt zu führen.
Frage: Wobei die entscheidende Frage die nach der deutschen politischen Linie ist. Und jenseits der möglichen materiellen Leistungen wollte ich noch mal fragen, ob Sie ein längeres Besatzungsregime der Amerikaner, wenn es denn käme, für einen Fehler hielten?
Antwort: Verzeihen Sie, ich denke nicht daran, über diese Frage zu theoretisieren und zu spekulieren. Die Linie der deutschen Politik ist klar: Wir sind Partner in Europa und wir wünschen mehr an europäischer Verantwortung. Das bringt Rechte mit sich, aber auch Pflichten, keine Frage. Und wir wollen, dass Wiederaufbau unter dem Dach der Vereinten Nationen stattfindet, weil wir glauben, dass diese Institution das Maß an Legitimation bereit halten kann. Das ist das, was man braucht, wenn man - was nötig ist - vor allen Dingen das Volk für einen demokratischen Wiederaufbau im Irak gewinnen will.
Frage: Da sagen Sie in Ihrer Regierungserklärung, die NATO müsse neuen Bedrohungs- und Konfliktstellungen angepasst werden, möglicherweise stärker als wir das bisher getan haben. Ich habe das auch als ein Signal an die Amerikaner verstanden und auch als eine Ansage: Die Bundeswehr muss umgebaut werden so wie die NATO stärker zu einem Interventionsbündnis geworden ist.
Antwort: Es war einfach die Feststellung dessen, was nötig ist, natürlich adressiert an uns selber, an die Menschen in Deutschland. Und es ist einfach richtig, dass die Bundeswehr umgebaut werden muss und sie wird umgebaut, entsprechend neuer Bedrohungsanalysen, denn der Kalte Krieg ist vorbei und die Bedrohung, die Teil des Kalten Krieges war, ist Gott sei Dank überwunden. Aber es gibt neue Bedrohungen - wir reden ja über internationalen Terrorismus - und entsprechend diesen Bedrohungen muss die Struktur der Bundeswehr eingerichtet werden und das macht der Bundesverteidigungsminister glänzend und die Soldaten ziehen mit in Deutschland. Und entsprechend diesen neuen Bedrohungen muss natürlich auch die Ausrüstung verändert werden. Was im Übrigen heißt--
Frage: Das kostet dann auch mehr.
Antwort: Ja, das muss nicht unbedingt sein. Wenn man gleich immer darüber diskutiert, was man drauf legen muss, dann verabsäumt man durch Veränderung der inneren Strukturen auch, alte Beschaffung, die alter Bedrohungsanalyse folgt, eben abzubauen. Insofern, auch die Frage, ob es mehr kostet, wird man beantworten können, wenn der Umbauprozess abgeschlossen ist.
Frage: Das kann auch das Ergebnis sein.
Antwort: Das kann man nie ausschließen, aber ich möchte diese Debatte deshalb nicht führen, weil ich nicht will, dass die Anstrengungen der Umstrukturierung nach innen nicht sozusagen an die Seite gedrängt werden, weil man ja sagt: Das müssen wir gar nicht verändern, wir können ja sehen, dass wir mehr bekommen. So herum, denke ich, läuft der Prozess nicht und darf er auch nicht laufen. Aber in der Tat, ausschließen kann man nicht, dass Sicherheit vor neuen Bedrohungen auch materielle Folgen hat.
Frage: Dann schlage ich mal die Brücke von Irak, von der internationalen Situation zu unserer nationalen Situation mit einer Überschrift, die, glaube ich, von Mitte Februar stammt und von einem, den Sie als Journalisten schätzen. Vielleicht sollte ich noch sagen, das ist der Gunter Hofmann von der ZEIT, der hat damals geschrieben: "Deprimiert, wortkarg, nervös - Gerhard Schröder kann den Streit um seine Irak-Politik nicht mehr gewinnen, die Kanzlerschaft steht auf dem Spiel". Jetzt reden wir nicht über Irak, aber über die Frage, ob eine Kanzlerschaft in Gefahr geraten kann, wenn das innenpolitische Reformprogramm nicht so durchgeht, wie Sie es vorgelegt haben?
Antwort: Also, ich rede nicht über Gefahren, ich rede über das, was ich will und das, was sein muss in Deutschland. Ich bin im Übrigen nicht sicher, ob der in der Tat von mir geschätzte Journalist - ich hoffe, ich schade ihm nicht, wenn ich das sage - das heute noch so titeln würde. Eher wohl nicht, denke ich, weil verstanden worden ist, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem gibt, was wir außenpolitisch tun, weil es im Interesse Deutschlands liegt und dem, was es innenpolitisch an Notwendigkeiten gibt. Der Zusammenhang heißt schlicht: Nur ein wirtschaftlich prosperierendes Deutschland kann im Konzert der europäischen Partner wirklich eine wichtige Stimme haben und mitspielen. Und deswegen gibt es diese Beziehung, deswegen müssen wir die "Agenda 2010" durchsetzen, aber ich will das nicht mit Druck tun, sondern ich will das tun, indem ich überzeuge. Und mein Eindruck ist, dass jedenfalls die Aktionen der Koalitionsparteien überzeugend sind und deswegen habe ich keine Ängste, was die Frage der Durchsetzung der "Agenda 2010" angeht.
Frage: Trotzdem, in Ableitung dieser Überschriften heißt die Alternative: Durchsetzen, so durchsetzen oder scheitern?
Antwort: Das sind Alternativen, die ich so nicht akzeptieren würde. Ich sage mal einfach, die Alternative gibt es nicht; wir müssen das jetzt durchsetzen, weil das für Deutschland notwendig ist. Im Kern geht es doch darum, dass wir, angesichts radikaler Veränderungen an der wirtschaftlichen Basis unserer Gesellschaft. die Substanz von Sozialstaatlichkeit erhalten müssen, sie aber nur erhalten können, wenn wir in der vorgeschriebenen und beschriebenen Weise veränderungsbereit sind. Das ist das, worum es geht und das ist wichtig für die Menschen in Deutschland; wer ihnen verspricht, dass alles so bleiben kann, wie es ist, obwohl sich das Umfeld so radikal verändert hat, der macht den Menschen etwas vor. Das will ich nicht, das darf ich nicht, also muss ich sagen: Das ist der Weg der Veränderung, diesen Weg müssen wir jetzt gehen, weil es der Weg ist, der dazu führt, die Substanz einer gerechten Gesellschaftsordnung zu erhalten. Darum geht es mir nämlich.
Frage: ... Es gibt Leute, die sie ganz gut kennen, die sagen, Anfang des Jahres hat er geglaubt, er würde scheitern. War das so?
Antwort: Ich habe nicht an Scheitern geglaubt, aber nach einem sehr schwierigen Jahr in der Situation, wo die Frage "Krieg oder nicht Krieg" offen war, nach einem enorm anstrengenden Wahlkampf, der so personalisiert war, wie er personalisiert worden ist und vielleicht auch zwangsläufig, da gab es natürlich schon auch Tage, wo man sich gefragt hat: Hältst du das durch? Aber Resignation war nie mein Thema, das muss ich Ihnen sagen und je größer der Außendruck wurde - um das sehr persönlich zu sagen - desto größer ist die Bereitschaft, jedenfalls bei mir, dem Außendruck zu widerstehen.
Frage: Wie viel Zeit haben Sie mit dem Programm, dass Sie jetzt vorgelegt haben, wenn Sie nicht "Ankündigungskanzler" sein wollen?
Antwort: Das Programm muss in seinen Grundzügen, auch was die Ausarbeitung in die Details an geht, bis zum Sommer stehen und dann muss es in den parlamentarischen Gremien umgesetzt werden. Ziel ist, den überwiegenden Teil zum 01.01.2004 Wirklichkeit werden zu lassen - ob das gelingt, liegt ja nicht nur an meinem Willen und dem Willen der Bundestagsmehrheit, sondern auch an der Kooperationsbereitschaft des Bundesrates, die ich mir erhoffe. Da gibt es auch Anzeichen dafür, dass diese Kooperationsbereitschaft vorhanden ist. Ich denke, man wird im Laufe dieses Jahres klar machen müssen, dass eine Mehrheit in der zweiten Kammer unseres Landes nicht nur Rechte (und) sie zu gebrauchen mit sich bringt, sondern auch Pflichten mit sich bringt, (die) so zu gebrauchen (sind), dass es unserer Gesellschaft nutzt.
Frage: ... Bundeswirtschaftsminister Clement zitierend, der auf diesem Stuhl gesagt hat: "Lockerung Kündigungsschutz ist ein Symbolthema; wenn wir damit scheitern, bin ich gescheitert und ich werde nicht scheitern". Das hat einigermaßen Aufregung verursacht. Ist das ein Satz, der so über Ihre Lippen für das Gesamtpaket "Agenda 2010" kommt?
Antwort: Ich werde nicht scheitern. Diesen Satz können Sie gern entgegennehmen, weil es schlecht wäre für unser Land, wenn die Umsetzung der "Agenda 2010" nicht gelänge. Und ich werde deshalb nicht scheitern, weil diese Erkenntnis, dass das notwendig ist, dass das nicht nur meine Sache ist, sondern sie Sache aller ist, die am politischen Prozesse beteiligt sind, diese Erkenntnis ist jedenfalls bei der Mehrheit des Parlamentes, also bei den Koalitionsfraktionen, vorhanden. Und Sie werden erleben, dass sie auch vorhanden bleibt. Natürlich gibt es Debatten, die muss es auch geben in einer Demokratie, aber wir werden uns durchsetzen.
Frage: Die (Debatten) sind ja heftig. Jetzt nicht alle Gewerkschafter zitierend, die enttäuscht weggegangen sind diese Woche, die von Sozialabbau sprechen, davon, dass die starken Schultern nicht so viel tragen, wie die schwachen, sondern auch die Abgeordneten, die ja zu Ihnen zurückkommen und die an den Infoständen von den Leuten hören: Das ist nicht mehr sozialdemokratisch, was Ihr macht. Den Begriff "Thatcherismus" kann man dafür verwenden oder auch nicht - das müssen Sie den Leuten vermitteln...
Antwort: Das ist richtig, das ist die Aufgabe und ich bin überzeugt davon, dass es gerecht ist, deswegen werde ich diese Aufgabe auch schultern. Und all diejenigen, die plakative Begriffe, wie "Sozialabbau" benutzen, haben offenkundig nicht verstanden, worum es wirklich geht. Es ist eine Situation, in der sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen radikal verändert haben und weiter verändern, verstärkt natürlich durch die internationale Entwicklung. Und in dieser Situation kann ich Wachstum, wirtschaftliche Prosperität in Deutschland dann, und nur dann, Aufrecht erhalten, wenn ich auch bereit bin, den veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen was die sozialen Sicherungssysteme angeht. Es geht eben nicht um Sozialabbau, sondern es geht um die Erhaltung der Substanz des Sozialstaates unter veränderten Bedingungen. Und wer die veränderten Bedingungen nicht zur Kenntnis nimmt, egal aus welchem Lager, der macht einen Fehler. Ich muss sie zur Kenntnis nehmen und muss die Menschen davon überzeugen, dass das, was jetzt vorgegeben worden ist, notwendig im wahrsten Sinne des Wortes ist.
Frage: Aber auf einen "heißen Herbst" oder gar schon "heißen Mai" stellen Sie sich vorsichtshalber ein?
Antwort: Ich stelle mich auf Debatten ein und ich habe immer nach dem Motto gehandelt, wer Angst hat vor Auseinandersetzungen, der sollte nicht in die Politik gehen, denn demokratische Politik ist auch Auseinandersetzung, auch öffentlich, auch manchmal durch Demonstrationen auf der Straße. Ich habe davor keine Angst, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass das, was mit der "Agenda 2010" vorgeschlagen worden ist dem Ziel entspricht, das wir haben - nämlich eine gerechte Gesellschaft unter veränderten Bedingungen Aufrecht zu erhalten.
Frage: Wenn man noch einmal kurz den Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik herstellen; wenn es in Folge des Irak-Krieges - was nicht auszuschließen ist, womit auch viele rechnen - zu einer Rezession kommt, wird es dann ein Konjunkturprogramm geben?
Antwort: Es gibt bereits eins und das läuft sehr gut. Wir werden über Folgen, noch einmal negativer Art wenn sie denn eintreten, im europäischen Maßstab zu diskutieren haben, denn alles, was wir ökonomisch tun und tun können, muss ja in Einklang gebracht werden mit der Substanz des Stabilitätspaktes. Insofern ist das keine isolierte deutsche Debatte, sondern muss eine europäische sein und ich denke, dass auch die Europäische Kommission inzwischen soweit ist, dass man sich den Stabilitätspakt genau anschauen muss - er ist sehr flexibel und er lässt Raum für Reaktionen, wenn Dinge eintreten, die wir beide ausschließen wollen. Ich sehe keine Rezessionsgefahr für Deutschland und auch die jüngsten Erhebungen sehen sie nicht und ich darf mich auch nicht beteiligen daran, sie herbeizureden.
Frage: Aber wir sehen realistisch die Perspektive im europäischen Rahmen, die drei Prozent Defizitgrenze aufzugeben?
Antwort: Ich würde jetzt nicht von Aufgeben reden, aber wenn Entwicklungen eintreten, die nicht kalkulierbar sind, dann lässt der Stabilitätspakt zu, dass man auf dessen eigener Basis eine Reaktion machen kann, die flexibel ist. Aber jetzt bereits darüber zu diskutieren, dass man das Ziel der Einhaltung der Grenzen aufgibt, das hielte ich für falsch, das kann man entscheiden, wenn man sich mit Folgen auseinandersetzen muss.
Frage: ... Dürfen wir uns per 1. Januar auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer einstellen?
Antwort: Das müssen Sie nicht, das wird auch nicht kommen.
Frage: Wird garantiert nicht kommen, egal, wie die wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges sind?
Antwort: Das wird nicht kommen, weil wir, wenn wir Folgen über das hinaus, was wir bereits kalkuliert haben, mildern müssen, dazu andere Möglichkeiten haben und deswegen wird es keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben.
Frage: Wir kommen zum Ende hin zu zwei Daten, zu zwei Geburtstagen; der eine steht im Mai an, das ist der Geburtstag der Partei, der Sie als Vorsitzender vorstehen, der 140. Geburtstag der SPD. Haben Sie einen Wunsch, wie die Parteien wahrgenommen werden sollen in Zeiten, wo sozusagen soziale Gerechtigkeit ein Begriff ist, der altmodisch erscheint, aber trotzdem so wichtig bleibt...?
Antwort: Insoweit ist mein Wunsch, dass die SPD nach wie vor begriffen wird als die Partei - ich will anderen nichts absprechen - in ihrer langen Geschichte, die diesen Grundsatz - soziale Gerechtigkeit - immer befolgt hat. Aber sie muss auch begriffen werden, und das ist mein Wunsch, als eine Partei, die für Erneuerung, für Innovation steht und sie muss begriffen werden als eine Partei, die für Internationalität steht. Das sind die Punkte, um die es mir geht.
Frage: Da fällt mir gerade noch ein: Wären Sie nicht freier mit ihrem Programm als Regierungschef, wenn Sie nicht Parteivorsitzender wären und in zwei Richtungen operieren müssten?
Antwort: Das ist eine alte Frage. Ich glaube nicht, dass ich freier wäre, denn es könnte dann sein, dass das Maß an Unterstützung, das ich hätte und das ich abrufen kann, nicht größer wäre. Insofern bin ich sehr zufrieden mit beiden Ämtern.
Frage: Das zweite Datum ist am Montag, da haben Sie Geburtstag und wenn in einer der Geburtstagskarten stünde - die Frage als Zitat verkleidet: "Er war Sponti, er ist ein Sponti und er wird ein Sponti bleiben".
Antwort: Im Privaten sicher nicht und im Politischen erst recht nicht, aber ich möchte auch nicht total die Fähigkeit verlieren, mal etwas Überraschendes zu tun. Ich darf das nicht in dem Amt.
Frage: Sie dürfen es nicht mehr sagen.
Antwort: Nein, ich darf das auch nicht tun in dem Amt, das ich habe. Ich kann nie ausschließen, so bin ich nun mal, dass Journalisten auch gelegentlich überrascht sind und nicht nur die.
Frage: Ganz schnell noch ein Zitat eines berühmten französischen Staatsmannes - auch passend zum Ereignis - Talleyrand. Der sagt: "Da geht mein Volk, ich muss ihm nach, ich bin sein Führer". Gibt es den 'Gerhard Schröder' noch oder ist er sozusagen in der Garderobe geblieben?
Antwort: Nein, nein, den gibt es natürlich noch. Ich habe das Zitat nicht ganz verstanden, fürchte ich.
Frage: "Da geht mein Volk, ich muss ihm nach, ich bin sein Führer"; der "Populist" Gerhard Schröder immer mit dem Ohr an der Schiene.
Antwort: Sie meinen, ich wollte es nicht verstehen. Nein, nein, so begreife ich meine Aufgabe nicht, sondern ich glaube schon, dass ich auch Vorgaben machen muss (und) im Übrigen gemacht habe - nie unkritisiert und auch das ist gut so.