Am Abend des 9. Juli 1932 findet in Helse/Krs. Süderdithmarschen eine Bauernversammlung der KPD statt. Die Leitung der Versammlung hat der Zeitungsausträger Adolf Bauer. Er ist einer der örtlichen KPD-Funktionäre. Nach Ende der Veranstaltung fährt Bauer zusammen mit seiner Freundin, Fräulein Siedentopf zu deren Wohnung in Marne. Dort stellt er im Garten sein Fahrrad ab, auf dem sich seine Zeitungstasche befindet. Anschließend gehen beide zu Fuß nach Westerdeich und setzen sich in der Nähe des Gasthofes "Loewenhof", dessen Pächter ein ortsbekannter Nazi ist, auf eine Bank. Das befreundete Paar will den Rest des schönen Sommerabends auch noch anders nutzen als zu politischen Gesprächen.
An diesem Abend haben die Nazis in Marne SA-Leute aus umliegenden fünfzehn bis zwanzig Orten zusammengezogen. Außerdem bewachen sie alle Strassen und Wege, die von Marne nach St. Michaelisdonn, dem Heimatort von Adolf Bauer, führen, der SS-Mann Albers aus Vierth fährt die ganze Nacht mit dem Motorrad hin und her und hält die Verbindung zwischen den Gruppen.
Als der Arbeiter Eduard Clausen nach Feierabend mit dem Fahrrad von seiner Arbeitsstelle in Dahrenwurth zu seiner Wohnung in St. Michaelisdonn unterwegs ist, leuchten ihm kurz hinter Vitt SA-Leute mit der Taschenlampe ins Gesicht. Er hört, wie einige von ihnen sagen: "Nein, das ist er nicht".
Während Bauer mit seiner Freundin auf der Bank in der Nähe des "Loewenhofes" sitzt, fahren zwei SA-Leute in Uniform auf Fahrrädern, dann sechs Uniformierte mit einem Pferdewagen an ihnen vorbei. Beide Gruppen passieren das Paar auf der Bank, ohne sich um sie zu kümmern. Wenig später kommt ein Motorrad mit zwei Mann in SA-Uniform vorüber, die Bauer mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchten. Einer der SA-Leute sagt zum anderen: "Das ist er."
Jetzt erst meint Bauer zu seiner Freundin: "Es wird dicke Luft, ich muss abhauen." Daraufhin gehen beide zurück zur Wohnung von Fräulein Siedentopf, wo Bauer sein Fahrrad nimmt und sich auf den Weg nach S. Michaelisdonn macht. Eine junge Frau Friemsmann aus Marne erkennt Bauer, der auf dem Weg nach dem Donn ist, im Abstand gefolgt von mehreren SA-Leuten auf Fahrrädern.
Spätere Spuren zeigen an, dass Bauer von etwa 15 bis 20 Nazis, die sich im Chausseegraben verborgen hielten, angefallen und vom Rad gezerrt wurde. Weiter kann man den Fußspuren entnehmen, dass die Täter, nachdem sie Bauer durch zwei Kornfelder gejagt haben, kurz vor einem Graben umzingelten. Die Spuren beweisen, dass Bauer erst nach heftigem Kampf überwunden und ermordet wurde. Die Leiche weist schwere Schlagwunden an Stirn, Mund, Hinterkopf und Rücken auf. Nach der Tat wurde der Tote mit schweren Stiefeln von hinten in den Schlamm des Grabens getreten und abschließend mit abgeknicktem Schilf bedeckt, um ein schnelles Auffinden zu verhindern. Die dreißig Mark Zeitungsgeld, die Bauer in der Tasche hatte, sind verschwunden. Dreißig Mark sind zur Zeit dieses Mordes eine nicht unerhebliche Summe, betrug doch das Arbeitslosengeld nach den letzten Kürzungen nur noch fünf bis sieben Reichsmark.
An der Mordstelle werden später zwei Knüppel gefunden, wie sie oft bei den Schlägereien von Nazis benutzt werden. Einer ist ca. sieben bis acht Zentimeter dick und hat einen geschnitzten Griff. Der Platz ist mit den Abdrücken schwerer Nagelstiefel bedeckt. Auf diese Spuren hingewiesen, meint der zuständige Polizist, dass die Fußabdrücke nur von dem Ermordeten stammen können, obgleich dessen Füße mit leichten Turnschuhen bekleidet waren.
Da die Ermittlungen der Polizei sich nur lustlos hinziehen und im Sande zu verlaufen drohen, führt der Landtagsabgeordnete der KPD, Hermann Schubert, eigene Ermittlungen durch. Seine Nachforschungen ergeben, dass bereits 14 Tage vor der grausigen Mordtat von Naziseite geäußert wurde, dass Bauer in zwei Wochen ein toter Mann sein werde.
Es meldet sich bei dem Landtagsabgeordneten Schubert der Arbeiter Heinrich Cölln aus Rösthusen, der bekundet, dass er kurz vor dem Mord eine, nach seinen Worten, ca. zwanzig Mann starke Gruppe von SA-Männern im Graben habe lauern sehen. Von der Polizei, wo er seine Aussage machen wollte, sei er abgewiesen worden.
Weiter stellt Schubert fest, dass der SA-Mann Hoffmann aus Friedrichskoog sich am Mittwoch, dem 13. Juli geäußert hat, er hätte am Sonntag gehört, Bauer sei tot und das täte ihm furchtbar leid. AM Sonntag schrieb man den 10.Juli, die Leiche Bauers ist aber erst am 12. Juli gefunden worden. Von Hoffmann ist noch zu berichten, dass er nach der Mordnacht die Spuren eines Kampfes trug, also verwundet war.
SA-Mann Peek kommt in der Mordnacht mit einem blutigen Braunhemd nach Hause, und in eben dieser Nacht behandelt Dr. Ring, ein bekanntes Mitglied der NSDAP, im Marner Krankenhaus einen anderen verwundeten SA-Mann. Auch die Ergebnisse der Spurensuche des Landtagsabgeordneten Schubert werden von der Staatsanwaltschaft abgewiesen, man spricht weiter von einem "unpolitischen Raubmord". Kein einziges Mitglied der NSDAP wird in die Morduntersuchungen einbegriffen oder auch nur verhört.
Am 25. Juli 1932 wendet sich Schubert in einen offenen Brief an das Berliner "12-Uhr-Blatt", das einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem der Verfasser sich alle Mühe gab, den wahren Sachverhalt des Mordes an den Zeitungsausträger und KPD-Funktionär Adolf Bauer zu vertuschen.
Sechs Monate später wird mit der "Machtergreifung" der braunen Banden das "III. Reich" seinen Anfang nehmen. Wie wird man dann mit politischen Gegnern umgehen? Wie wird man dann mit deren Eigentum verfahren, wenn man sich jetzt schon nicht entblödet, einem feige ermordeten politischen Gegner dreißig Mark aus der Tasche zu stehlen? ----------------------
Quellen:"12-Uhr-Blatt", Berlin, v. 25. Juli 1932 "Rote Fahnen heraus", Wahlzeitung der KPD; Hamburg, 27. Juli 1932
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