Marie-Elisabeth Rehn schreibt über die Erinnerungen der Heider an die Familie Stillschweig : "Mein Vater hat ihn Opa Ziegenbart genannt, meine Großmutter erinnert sich an die roten Zöpfe der Töchter und an die herzkranke Frau, die man selten zu Gesicht bekam. 'Der einzige Jude in Heide', betonen alle, die sich an ihn erinnern... Der Alte sei irgendwann in den dreißiger Jahren gestorben, die Kinder hätten die schlimme Zeit überlebt, die seien in Amerika, und es gehe ihnen gut.". Wir wissen heute, daß diese Legende leider nicht wahr ist. Zwar ist der alte Samuel 1935 im Alter von 72 Jahren in Heide gestorben. Er ist -neben seiner Frau Auguste, geborene Marcus, die schon 1924 gestorben war- in Friedrichstadt auf dem neuen jüdischen Friedhof beerdigt worden. Samuel wurde 1862 in Ostrowo in der Provinz Posen geboren, Auguste 1869 in Walsrode. 1888 heirateten sie und begründeten ihr Geschäft in der Heider Friedrichstraße 4. Nach dem Versuch, auch in Lübeck ein Geschäft aufzubauen, kehrten sie nach dreijähriger Abwesenheit 1898 nach Heide zurück und kauften das Haus in der Friedrichstraße. Der erste Sohn Herbert, starb im Alter von nur drei Monaten im März 1890 in Heide. Die älteste Tochter Frieda wurde 1891 in Heide geboren. Sie besuchte -wie ihre jüngeren Schwestern- die Höhere Töchterschule, bevor die Eltern sie 1906 nach Berlin auf ein Gymnasium schickten. Nach dem Abitur studierte sie Medizin. 1924 heiratete sie und brachte ihren Sohn Wolfgang Alexander zur Welt. Bis 1938 praktizierte sie als Nervenärztin in Berlin. Ab 1938 wurde ihr dies als Jüdin verboten. Sie durfte als 'Krankenbehandlerin' nur noch jüdische Patienten behandeln. Sie wurde -mit Wolfgang Alexander- am 12.3.1943 in Auschwitz vergast. David wurde 1896 in Lübeck geboren, 1909 verließ er Heide, um in Berlin Kaufmann zu lernen. Später eignete er sich das Handwerk des Kürschners an und arbeitete in diesem Beruf. Von 1923 bis 1931 lebte er wieder in Heide und arbeitete mit im Geschäft. 1938 verließ er Deutschland endgültig und lebte in Paris. Er wurde von dort deportiert und am 11.2.1943 in Auschwitz vergast. Martha wurde 1906 in Heide geboren und folgte dem Vorbild ihrer Schwester Frieda. Ab 1923 besuchte sie ein Gymnasium in Berlin. Auch sie studierte Medizin und arbeitete später in der Praxis ihrer Schwester. Sie wurde am 14.5.1943 in Auschwitz vergast. Die jüngste Tochter Gertrud kam 1907 in Heide zur Welt. Sie blieb hier und übernahm nach dem Tode der Mutter den Haushalt und half ihrem Vater im Betrieb. Auch nach seinem Tode blieb sie zunächst in Heide. Erst 1937 konnte sie das Haus an den Uhrmacher Jessen verkaufen. Ob der vereinbarte Kaufpreis von RM 22.000 jemals an sie ausgezahlt worden ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Gertrud zieht nach Hamburg und findet Arbeit in der Verwaltung des Israelitischen Krankenhauses. Sie wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert. Am 12.10.1944 wurde sie in Auschwitz vergast. Diesen vier Heider Opfern der antisemitischen Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus zu gedenken ist unser Wunsch.
„Stolpersteine“
Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig, der 1995 mit seinem Projekt Stolpersteine begann, hat in 60 Städten der Bundesrepublik bisher über 4000 dieser Steine vor den früheren Wohnhäusern von Opfern des Nationalsozialismus installiert. In Schleswig-Holstein gibt es bereits in Lübeck, Bad Schwartau, Flensburg, Schleswig, Kappeln, Wyk auf Föhr und in Friedrichstadt Stolpersteine.
Die Steine sollen an alle Menschen erinnern, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind: Roma und Sinti, Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgte also vor allem Mitglieder von KPD und SPD, verfolgte Christinnen und Christen, Euthanasieopfer, Homosexuelle und Zeugen Jehovas.
Stolpersteine sind 10 x 10 cm große Messingplatten, die in den Gehweg eingelassen werden. Auf dem Stolperstein bekommt das Opfer seinen Namen wieder, seine Identität und sein Schicksal sind, soweit bekannt, ablesbar. Durch die persönliche Erinnerung an den Menschen, vor dem Haus, in dem er gewohnt hat, wird die Erinnerung ganz konkret in den Alltag geholt. Wobei jeder persönliche Stein wiederum auch die Gesamtheit der Opfer symbolisieren soll, denn alle eigentlich nötigen Steine kann man angesichts von Millionen Ermordeten nicht verlegen.
Das Projekt kann letztlich also nur Zeichen setzen. Zeichen gegen das Vergessen ... Damit die Nazis (wenigstens) das Ziel nicht erreichen, auch noch die Erinnerung an ihre Opfer auszulöschen...
In Heide tat man sich mit der Aufarbeitung der Nazizeit bisher (sehr) schwer. Es erinnert nur eine versteckt (an der Seite) der Volkshochschule angebrachte Tafel an die Opfer des Nationalsozialismus.
Der Arbeitskreis Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Dithmarschen, attac Dithmarschen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Heide halten es dagegen für notwendig, die Erinnerung an die Menschen, die ermordet wurden, wach zu halten.
Wir stellen deshalb gemeinsam mit über 200 Personen den Antrag, dass die Stadt Heide vor dem ehemaligen Haus der Familie Stillschweig in der Friedrichstraße (Hausnummer) 4 Stolpersteine installieren lässt, sie einweiht und pflegt, um an das Schicksal der in Auschwitz ermordeten Kinder der Heider Familie zu erinnern.
Stolpersteine für die Friedrichstraße
Der Arbeitskreis Verfolgung und Widerstand im nationalsozialistischen Dithmarschen, attac Dithmarschen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Heide haben gemeinsam mit 210 UnterzeichnerInnen einen Antrag an die Ratsversammlung der Stadt Heide gestellt, vier Stolpersteine in der Friedrichstraße installieren zu lassen, diese öffentlich einzuweihen und zu pflegen.
Diese Steine sollen an vier Kinder der Familie Stillschweig erinnern. Frieda, David (Dagobert), Martha und Gertrude Stillschweig wurden in Auschwitz ermordet.
Bei der Bürgerfragestunde der Ratsversammlung am 16.3.05 erfuhren wir nun, daß sich der Kulturausschuss bereits mit dem Thema beschäftigt und unseren Antrag "wohlwollend zur Kenntnis genommen" habe.
Allerdings schlug der Ausschuss vor, die Kosten in Höhe von etwa 380 Euro durch Sponsoren zu finanzieren, da dies allgemein üblich sei.
Ebenfalls machte der Ausschuss den Vorschlag, die Installation nicht vor der Umgestaltung der Friedrichstraße vorzunehmen, da es "unsinnig" sei, die Steine jetzt zu installieren und später dann wieder neu einsetzen zu müssen. Wann mit dieser Neugestaltung zu rechnen ist, blieb allerdings auch auf Nachfrage unklar. Es wurde beschlossen, daß die Ratsversammlung sich auf ihrer nächsten Sitzung im April des Themas annehmen wird.
Der Arbeitskreis Verfolgung und Widerstand im nationalsozialistischen Dithmarschen hält diesen Vorschlag des Kulturausschusses für unzureichend.
Eine Koppelung der Verlegung der Steine mit Umbaumaßnahmen halten wir nicht für zwingend. Bei den Stolpersteinen handelt es sich um 10 x 10 cm große Steine, die 10 cm tief in den Gehweg eingelassen werden. Dies ist keine große Baumaßnahme, sondern die Steine werden von Gunter Demnig selber verlegt. Nach seiner Auskunft können sie bei fälligen Bauarbeiten entfernt und wieder eingesetzt werden. Von unzumutbaren Kosten für die Stadt ist daher nicht auszugehen.
Wir halten an der Installation noch im Jahre 2005 fest. Gunter Demnig verlegt weitere Steine im August in Friedrichstadt, so daß eine Verbindung mit Heide dann möglich und sinnvoll ist und von uns angestrebt wird.
Es gibt jetzt eine starke Initiative für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Heide. Es gibt jetzt noch Zeitzeugen aus der Zeit, die sich durch dieses Gedenken gewürdigt -oder auch verärgert- fühlen können.
Ob dies alles nach einer geplanten Umgestaltung der Friedrichstraße -sei es nun 2006, 2008 oder 2010- noch gegeben wäre, läßt sich heute nicht absehen.
Obwohl wir das Angebot der Heider SPD, einen der Steine zu stiften, anerkennen und begrüßen, halten wir an unserem Antrag einer Finanzierung durch die Stadt Heide aus folgenden Gründen fest :
Der Arbeitskreis hat der Stadt eine Idee, ein fertiges Konzept und eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit für ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus vorgelegt. Wir sehen dies als eine weitere -und vielleicht die letzte- Möglichkeit der Stadt Heide, dieses zu verwirklichen. 60 Jahre nach dem Ende des Systems, dem über 6 Millionen jüdische Menschen, aber auch Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Regimekritiker zum Opfer fielen, steht es einer Stadt wie Heide gut an, Respekt gegenüber den Ermordeten sichtbar zu machen.
Wir bitten daher die Ratsversammlung der Stadt Heide, den Vorschlag des Kulturausschusses zu überdenken und unserem Antrag zuzustimmen.
Von einem Unterstützer:
Verschiebung wegen eines Umbaues,
der kommt oder nicht, das klingt fast wie Schiebung.
Eine Bürgerspende an die Stadt; wenn die Verlegung eine Aktion der Stadt bleibt, ist für mich ok. Ich habe selbst eine Beteiligung angeboten. Entscheidend ist, dass die Stadt offizielle Trägerin der Aktion wird. Eine Verzahnung mit Bürgerbeteiligung hat für mich dann sogar einen besonders positiven Symbolwert.
Wegen des Datums würde ich mit dem Kopf durch die Wand, wegen der Finanzierung nicht.
ich habe von Frau Franke eine Antwort auf die Frage bekommen, wann Demnig in Schleswig-Holstein sein wird: Nämlich vom 14. bis zum 22. August 2005.
Es gibt inzwischen schon über 5000 Stolpersteine in 80 Städten. Vor kurzem ist übrigens der 1000. Stein in Hamburg verlegt worden.
In Schleswig-Holstein gibt es in folgenden Städten Stolpersteine: Bad Schwartau, Flensburg, Friedrichstadt, Kappeln, Lübeck, Schleswig und Wyk auf Föhr.
Dazu kommen 2005 Neumünster und Heide.
Das war die kürzestste Sitzung die ich je erlebt habe. Aber über unseren Antrag wollte trotzdem niemand beraten.
Meine Frage zur bürgerfragestunde wurde wie immer (Dwenger: "So läuft das hier immer") abgewimmelt, da die nächste Ratssitzung am 11. Mai ist, und der nächste Kulturausschuss erst danach. Und danach macht es dann wohl keinen Sinn.
Und die Stellungnahme von der Stadtverwaltung ist auch ohne Aussage, weil er sich wieder an der Finanzierung aufhängt und den Termin völlig ignoriert. Sie spielen mit uns.
Nun müsste Telse Lubitz noch eine Erinnerung von uns erhalten. Vieleicht erforscht sie ja schon den Heider Nationalsozialismus und findet heraus, das das alles ganz anders war.
Hier eine kleine Kostprobe von der Fiesheit im Umgang mit dem Widerstand in Heide.