Rungholt
Einleitung aus Wikipedia
Der Ort Rungholt war eines von sieben Kirchspielen der ehemaligen Insel Strand im Nordfriesischen Wattenmeer. Es wurde in der Zweiten Marcellusflut (Grote Mansdränke) am 16. Januar 1362 zerstört. Die beiden zusammen gehörenden Siedlungen Grote Rungholt und Lütke Rungholt bildeten gemeinsam den Hauptort einer großen Region, der Edomsharde. In direkter Nachbarschaft zu Rungholt lag zudem der ebenfalls versunkene Ort Niedam. Nach der Flut wurden einige Teile des ehemaligen Rungholt-Gebietes erneut besiedelt, gingen aber in der Sturmflut von 1532 unter. Von der ehemaligen Edomsharde sind heute nur noch die Inseln Nordstrand, Pellworm und die Hallig Nordstrandischmoor übrig; die restlichen Gebiete gingen in der Sturmflut von 1362 verloren und sind heute Wattenmeer.
Rungholt lag auf einer Torflinse und wurde daher besonders leicht zum Opfer der Sturmflut. Durch die Sturmflut entstand auch der benachbarte Norderhever, zuvor ein Fluss, als tief eingegrabener großer Priel.
Die Funde eines Testaments von 1345, in dem der Name Rungholt erwähnt wird, und einer Handelsvereinbarung mit Hamburger Kaufleuten vom 1. Mai 1361, also acht Monate vor der Marcellus-Flut, geben die Sicherheit, dass der Ort zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe noch bestand.
Schätzungen, die der Rungholt-Forscher Andreas Busch aufgrund der Anzahl und der Verteilung von Brunnenresten vornahm, deuten auf eine Bevölkerungszahl von mindestens 1.500 bis 2.000 Einwohnern hin. Das ist für eine Ortschaft des 14. Jahrhunderts in dieser Gegend eine bemerkenswert große Zahl.
Der Name Rungholt leitet sich vermutlich von der friesischen Vorsilbe „Rung-” (etwa: „falsch”, „gering”; gleicher Wortstamm wie das englische „wrong”) und dem Stammwort „Holt” („Gehöltz”) ab. Daraus ergibt sich die Bedeutung „Niederholz”.
Viele Gebäude Rungholts standen, wie an der Nordseeküste auch heute noch verbreitet, auf Warften. Die Rungholter Warften bestanden aus Erdhügeln, die mit etwa 20 Schichten Grassoden gegen Wind und Wellen gesichert wurden. Reste von 28 solcher Warften tauchten, deutlich erkennbar, seit den frühen 1920er Jahren immer wieder auf. Die Lage von Lütke Rungholt, Grote Rungholt und Niedam ist seither bekannt.
Reste einer Stadtmauer wurden nicht gefunden, sehr wohl aber die Abdrücke niedriger Deiche, die zwischen den Schleusen und den drei Orten gestanden hatten. Da bekannt ist, dass Holzschleusen in der damaligen Zeit eine Lebenserwartung von etwa 80 bis 100 Jahren hatten, kann man vermuten, dass die jüngere Schleuse nicht vor 1280 erbaut wurde, die ältere demnach etwa um 1200. Das war auch der Zeitraum der ersten Eindeichung des Gebiets, wodurch Schleusen erst notwendig wurden. Der Forscher Hans Peter Duerr fand den ebenfalls in der Flut untergegangenen, aber danach wieder aufgebauten Nachbarort Frederingscap vel Rip gedeutet.
Geschichte der Insel Rungholt
über Rungholt wurde und wird viel spekuliert, wo genau es lag und wie es unterging. Es gibt Erzählungen, die den Untergang als Strafe Gottes für die Gottlosigkeit ansehen, z.B. die Rungholt-Sage. So stimmt es aber aus wissenschaftlicher Sicht auf keinen Fall.
Beweise, daß Rungholt wirklich existiert haben muß, sind Urkunden und andere Schriftstücke im Hamburger Stadtarchiv, auf denen der Name Rungholt auftaucht, z.B. eine Urkunde vom 19 Juli 1361, die Hamburger Kaufleuten freies Geleit und völlige Handelsfreiheit gewährte. Desweiteren wird mit dieser Urkunde bewiesen, daß Rungholt nicht wie von vielen vermutet um 1300 versank, sondern erst 1362.
Rungholt lag in der Edomsharde, es wird vermutet, daß es der Hauptort gewesen ist. Da zur damaligen Zeit die meisten Waren per Schiff transportiert wurden, muß die Edomsharde auf jeden Fall einen Hafen gehabt haben, der ein wichtiger Handelsstützpunkt war. Aus Aufzeichnungen geht hervor, daß dieser Hafen in Rungholt lag. Dennoch war Rungholt keine Prunkstadt wie z.B. Atlantis, sondern eher eine Art Dorf. Eine Stadt in dem Sinne war es nicht, da es keine Belege bzw. Urkunden der Hanse oder in Stadtbüchern der Hansestädte Lübeck, Rostock, Greifswald und Stralsund existieren. Bedeutende Städte standen zur damaligen Zeit meist in einer Beziehung zur Hanse.
Daß Rungholt aber ein bedeutender Ort war zeigt, daß es als einziger Ort der Edomsharde die Bezeichnung Flecken erhielt und daß ein Kollegium von Priestern dort ansässig war, was aus Aufzeichnungen hervorgeht. Die Bedeutung des Hafens von Rungholt läßt sich aufgrund der Funde von Schleusenresten etc. zurückführen. Die Schleusen Rungholts waren um einiges größer als übliche Schleusen der Zeit. Dies deutet darauf hin, daß Rungholt einen großen Hafen gehabt haben muß. Es gab eine alte und eine neue Schleuse, von denen man in den 30er Jahren noch Reste im Watt bei Südfall fand. Es wurde herausgefunden, daß die neue Schleuse um 1280 gebaut wurde. Zu der Zeit waren Schleusen ca. 80 Jahre in Betrieb, also stammt die erste von ca. 1200. Die neue Schleuse ist wesentlich größer als die alte.
Dies nimmt man als Indiz dafür, daß der Hafen Rungholts vergrößert werden mußte und deutet auch auf die Wichtigkeit Rungholts als Handelsstützpunkt der Edomsharde zur damaligen Zeit hin. Rungholt soll an der Mündung der Hever gelegen haben, was einen Hafen durchaus wichtig macht. Da der Meeresspiegel mit der Zeit stieg, wurde Rungholt und die nähere Küstengegend um 1200 eingedeicht. Spuren von Deichen und Warften fand man in der Gegend der Hallig Südfall. Also muß Rungholt dort gelegen haben. Damals war das heutige Festland noch mit den Halligen und den Inseln , z.B. Pellworm, verbunden. Nach den großen Sturmfluten von 1362 und 1634 (erste und zweite "grote Mandränke") änderte sich das Küstenbild entscheidend. Vom ursprünglichen Festland blieben nur noch Reste, wie z.B. Pellworm, Südfall etc., übrig.
Wann und wie ging Rungholt nun unter?
Nahezu erwiesen ist, daß Rungholt bei der verheerenden "Marcellusflut"(auch erste "grote Mandränke" ) am 16.1.1362, unterging.
Diese "Mandränken" von 1362 und 1634 waren die schlimmsten Fluten, die es je gab. Sie brachten vielen Menschen den Tod und
prägten das Küstenbild der Nordseeküste, wie es heute ist. Die erste "grote Mandränke" ließ große Gebiete versinken, unter
anderem auch Rungholt. Es gibt Spekulationen, warum genau Rungholt nun utergegangen ist. Einige gehen davon aus, die Deiche
seien falsch gebaut gewesen. Sie wären zur Seeseite hin steil gewesen und boten daher eine zu große Angriffsfläche für das
Meer.
Andere sagen aber, die Deiche seien durchaus richtig gebaut gewesen. Die Deiche waren aber insgesamt zu flach. Aufgrund der Pest, die ca. 1350 das Gebiet der "Uthlande" (Nordseeküste) erreichte, war die Bevölkerung geschwächt. Die Pest soll ca. ¾ der Bevölkerung der "Uthlande" dahingerafft haben, deshalb fehlten wichtige Kräfte für den Küstenschutz, d.h. für den Deichbau. Aber selbst bei höheren Deichen hätte Rungholt die Flut nicht überstanden. Laut Angaben übertraf die Flut alle bisher dagewesenen Fluten. Sie soll 2,40 m über der damals üblichen Deichhöhe gewesen sein. Erschwerend kam hinzu, daß Rungholt auf einer nacheiszeitlichen Senke mit Sedimenten gefüllt, errichtet wurde. Dies hatte zur Folge, daß sich das Land in diesem Gebiet besonders stark senkte. Zusammen mit dem im Laufe der Jahrhunderte steigendem Meeresspiegel hatte das Gebiet der Edomsharde keine Chance gehabt. Das Gebiet um Rungholt war nach dieser Sturmflut verloren, andere Teile konnten langsam wieder besiedelt werden.
von Rainer Maria Rilke aus: Das Buch der Bilder
Theodor Storm 1817 - 1888
Eine Halligfahrt
... Nach einer Stunde hatten wir die nachbarliche große Insel hinter uns und trieben nun auf der breiten Meeresflut. Eine Möwe schwebte über dem Wasser dicht an uns vorüber; ich sah, wie ihre gelben Augen in die Tiefe bohrten. «Rungholt!» rief der Schiffer, der eben das Segel umgelegt hatte.
Die Geheimrätin, die - ich weiß nicht durch welche Künste - ihren Champignonbeutel wieder in der Hand trug, blickte nach allen Seiten um sich. «Ich sehe nur den uferlosen Ozean!» sagte sie, indem sie ihr Augenglas einschlug und wieder in den Gürtel steckte. Der Schiffer, der mit beiden Armen über Bord lehnte, wandte sein wetterbraunes Gesicht der Dame zu; aber nachdem er sie wie in mitleidiger Verachtung einige Sekunden gemustert hatte, starrte er wieder schweigend ins Meer hinaus. «Sie müssen dorthin blicken», sagte ich, «wo nach Senekas Ausspruch alle Erdendinge am sichersten verwahrt sind!» «Und wo wäre das, mein Lieber?»
«In der Vergangenheit - in diesem sicheren Lande liegt auch Rungholt. Einst zu König Abels Zeiten, und auch später noch, stand es oben im Sonnenlichte mit seinen stattlichen Giebelhäusern, seinen Türmen und Mühlen. Auf allen Meeren schwammen die Schiffe von Rungholt und trugen die Schätze aller Weltteile in die Heimat; wenn die Glocken zur Messe läuteten, füllten sich Markt und Straßen mit blonden Frauen und Mädchen, die in seidenen Gewändern in die Kirche rauschten; zur Zeit der äquinoktialstürme stiegen die Männer, wenn sie von ihren Gelagen heimkehrten, vorerst noch einmal auf ihre hohen Deiche, hielten die Hände in den Taschen und riefen hohnlachend auf die anbrüllende See hinab: Trotz nu, blanke Hans! Aber das rotwangige Heidentum, das hier noch in uns allen spukt -»
«Ich bitte doch, mich freundlich auszunehmen!» schob die Geheimrätin mit etwas strammem Lächeln dazwischen.
Ich verbeugte mich zustimmend. «Es bäumte sich noch einmal auf gegen den blassen aufgedrungenen Christengott; die Männer von Rungholt - so wenigstens haben es die geistlichen Chronisten aufgeschrieben - beriefen eines Tages einen Priester und hießen ihn einer kranken Sau das Abendmahl geben. Da ergrimmte der Herr und ließ wie zu Noä Zeiten seine Wasser steigen; und über die Deiche und Mühlen und Türme schwollen sie; und Rungholt mit seinen blonden Frauen und seinen trotzigen Männern» - und ich wies mit dem Finger rückwärts, wo noch vom Kiel unsers Schiffes das Wasser in der Sonne strudelte -, «dort steht es unten, unsichtbar und verschollen auf dem Boden des Meeres. Nur zuzeiten bei hellem Wetter, wenn in der einsamen Mittagsstunde die Wimpel schlaff am Mast herunterhängen und die Schiffer in der Koje schnarchen, dann - wie die Leute sagen - šdühnt es aufŠ. - Wer dann mit wachen Augen über Bord ins Wasser schaut, kann gewahren, wie Türme mit goldnen Gockelhähnen aus der grünen Dämmerung aufsteigen; vielleicht mag er sogar die Dächer der alten Häuser erkennen, und wie zwischen dem Seetang, der sie überstrickt hat, seltsam schwerfälliges Getier umherkriecht, oder zwischen den zackigen Giebeln in die Enge der Gasse hinabschauen, wo Muschelwerk und Bernstein die Tore der Häuser verbaut hat und der nie rastende Flut- und Ebbestrom mit den Schätzen versunkener Schiffe spielt. - Aber auch die Schiffer unter Deck erwachen und richten sich auf, denn unter sich aus der Tiefe hören sie es läuten; das sind die Glocken von Rungholt.»
Susanne war indes herangetreten und hatte mit großen Augen zugehört; aber sie bedurfte für diese Seegeschichte eines sachkundigeren Gewährsmannes.
«Läuten sie wirklich, Schiffer?» fragte sie. «Haben Sie es selbst gehört?»
Das klang so allerliebst, daß auch die Backen der alten Teerjacke sich zu einem Lächeln verzogen; und er spie weit ins Meer hinaus, bevor er antwortete: «Ick hevt min Dag nich hört.»
Und weiter fuhren wir über Rungholt. Aber trotz der kühlen Antwort des Schiffers blickte Susanne noch ein paarmal verstohlen über Bord ins Wasser; begann doch auch jetzt die Mittagseinsamkeit sich brütend auf das Meer zu legen. Und als sie sich von mir ertappt sah, errötete sie nur leicht und lächelte; denn meine Augen mochten es den ihren schon verraten haben, wie gern auch ich an Wunder glaubte. ...