Eins der schlimmsten und bis dahin unbekannten Verbrechen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ist die Gleichschaltung. Das ist der Zustand einer Wirtschaft, die so vollkommen den Staat und seine Bürger unter Kontrolle hat, dass zwischen den Zielen seines Volkes und denen der Industrie und Finanz kein Unterschied existiert. Dithmarschen ist als frühe NS- Vorzeigeregion bekannt. Das Ziel des NS- Staates war es, einen total überwachten und kontrollierten Staat zu schaffen.
In Meldorf betraf das nach Ansicht Jens Peter Biels jeden Bereich, von der NS- Frauenschaft, dem NS- Lehrerbund, NS- Volkswohlfahrt, NS- Juristenbund, Kriegsopferverbände, Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kyffhäuserbund wurden zum NS- Kriegsopferverband, Reichseinheitsverband der deutschen Gastwirte, bis zum Kampfbund für Deutsche Kultur.
Selbst um das Boßeln kümmerten sie sich, die Zeitschrift „Dithmarschen“ sollte künftig monatlich erscheinen, die Schriftleitung behielten Lehrer Matzen, Heide, und Museumsdirektor Dr. Kamphausen, der erste Mai wurde einfach von allen Meldorfern durch den Deutsche Arbeitsfront (DAF)- Kampftag ersetzt. Hatte die DAF anfangs einige gewerkschaftliche Aufgaben (Erwerbslosenunterstützung, Rechtsberatung bei Arbeitsstreitigkeiten, d. Verf.), so verschoben sich die Aufgaben der Organisation im Laufe der Zeit. Die DAF organisierte z.B. seit 1934 jährlich die sog. „Reichsberufswettkämpfe“. Lehrlinge und Arbeiter maßen sich hierbei in den Disziplinen Berufspraxis, Berufstheorie, Weltanschauung und Hauswirtschaft (letzteres für die weibliche Jugend).
Im Meldorfer Gymnasium waren 90 % der Schüler in der Hitlerjugend (HJ). Die war im Besitz von vier Versammlungsgebäuden, das Jugendheim auf dem Klosterhof, die Jugendherberge in der Osterstraße, das Heim des Jungvolks im Landratsamt und das geplante neue Heim im Konsumverein in der Adolf-HitlerStraße. Von der „Scharnhorst-Jugend“ wurde verkündet, dass die geschlossen in das Deutsche Jungvolk überführt worden sei.1 Der MTV- Meldorf schlief langsam ein, Turnerinnen und Turner wurden in eine Wehrsportriege aufgesogen.
1938 wurde die Bürgergilde durch den Zwangsbeitritt zum Deutschen Schützenverband gleichgeschaltet. Es wurden ganze Straßenzüge durch die Umbenennung der Süderstraße in „Adolf- Hitler- Straße“, Chausseestraße in "Horst- Wessel- Straße" und Bahnhofsstraße in "Hindenburgstraße" in die Gleichschaltung einbezogen. Ein weiteres Beispiel war der „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, wobei am 16.8.1933 vom Bürgermeisteramt Meldorf mitgeteilt wurde, dass die Stadt Meldorf frei von Erwerbslosen sei.2 Darunter war zu verstehen dass für alle Arbeitslosen Zwangsarbeit geschaffen wurde.
Im Gefängnisbuch des städtischen Bürgergehorsam in der Klosterstraße häufte sich die Eintragung „Politischer Häftling“ ab 1933. Im Bericht zum Nachtragshaushalt 1933 wurde zur Kostensteigerung bei der Polizeiverwaltung ausgeführt: „weil die politische Lage (Schutzhäftlinge, Transporte usw.) und die Überfüllung des hiesigen Gerichtsgefängnisses dies mit sich gebracht hätten. Zwar wird ein Teil der Kosten durch die Staatskasse erstattet, doch mußten für den Transport von Marxisten nach Glückstadt wesentliche Kosten übernommen werden.“3
Gegen die politische Opposition bestand die Gleichschaltung in der Form von Einschüchterung durch die Drohung mit Verhaftungen, doch nicht nur Drohung, sondern auch Durchführung. Eine zweite Verhaftungswelle fand am 20.9.33 statt, von denen erst am 13.12.1933 alle wieder befreit wurden. Dasselbe gilt für 1934:
Abbildung 1: Meldorfer Bürger beim Tanz in den 1. Mai 1936; Quelle: Landesmuseum Meldorf
Verhängung einer „Schutzhaft“ über einen Meldorfer im Frühjahr 1934: Der Vorsitzende der Meldorfer Ortsgruppe des Stahlhelm, Zahnarzt Dr. Georg Moeller auf Veranlassung der Geheimen Staatspolizeistelle in Altona wegen verbotener Sammlung zu Gunsten eines unter Anklage des Hochverrats stehenden politischen Gefangenen festgenommen worden ist. Man ergriff ihn nur aufgrund von Gerüchten.
Der Gärtner David (Jude?), Meldorf, wurde öffentlich bloßgestellt, weil er sich nicht an der Ausstellung der hiesigen Gärtner auf der Bühne des Tanzlokals "Erheiterung" auf dem Erntedankfest beteiligt hatte. Er war in der nationalsozialistischen Terminologie ein "Volksschädling", der nicht zur "Volksgemeinschaft"gehören konnte.4
Die Fischer M., B. und B. aus Büsum wurden von Ernst Kracht (Landrat von Süderdithmarschen) wegen ihrer Kritik und Häme an den Generalversammlungsbeschlüssen der Fischmehlgesellschaft m.b.H. in Büsum vom 29.7.1933 in Schutzhaft genommen, weil die Verhafteten die Ruhe und Ordnung gefährdet hätten. Die Verhafteten kamen bis Mitte August 1933 in die Landesarbeitsanstalt Glückstadt und wurden anschließend entlassen.5
Auf einer Kreistagung der NSDAP Anfang Januar 1935 sprach neben Gauleiter und Oberpräsident Lohse auch Kreisleiter Matthiessen. Er führte aus, ... dass die Personalpolitik im Kreise Süderdithmarschen im großen und ganzen abgeschlossen ist. Gegner und Andersdenkende seien kaum mehr vorhanden und bedeutungslos." Matthiessen gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass mit einer solchen Gefolgschaft gut zu arbeiten sei.6
Der Bankvorsteher Hartnack aus Meldorf habe durch systematische Verbreitung von falschen Gerüchten die Ehre Röhlks zu verletzen versucht, so dass die Geheime Staatspolizeistelle Kiel eine vorläufige Schutzhaft gegen ihn verfügt hat. „Nach schwerer Misshandlung mit Körperverletzung durch die Herren Nottelmann, Röhlk, Wemer Peters und Zornig, Eddelak, wurde ich am 2.10.1933 in Schutzhaft genommen und dem KZ in Glückstadt zugeführt,“ schrieb er in einer Beschwerde.7
Ein Beamter Namens S. erhielt einen „unglaublichen und absolut ungerechten Strafbefehl wegen des Verfassens eines Kettenbriefes und sah sich nicht in der Lage, nach der erlittenen Kränkung und Ehrabschneidung, das Ehrenrecht der Wahl am 29.3.1936 auszuüben“. Der Bürgermeister schickte eine Abschrift seines Briefes an den Ortsgruppenleiter der NSDAP Meldorf. Der Regierungspräsidenten in Schleswig bestrafte einen „derart groben Verstoß gegen die Gefolgschaftstreue dem Führer gegenüber“. Einige Monate später bat die Mutter von S. um Wiederzulassung ihres Sohnes zum Vorbereitungsdienst. Die Angelegenheit wurde anscheinend so prekär, dass sich die 53. SS- Standarte einschaltete und „eine ausführliche Auskunft in politischer und charakterlicher Hinsicht“ einforderte.8 Das erschien wie eine Mischung aus Versuch von Wahlboykott und Denunziation eines anderen.
In Meldorf wurde am 25.3.1933 der städtische Kassierer K. vom Bürgermeister Schmedtje „beurlaubt“. Ein Nachfolger war bereits gefunden.9 Warum wurde nicht bekannt.
Klar und deutlich ließ der Bürgermeister Schmedtje zur Eröffnungssitzung der neuen Stadtvertretung verlauten, dass die Vertreter der „nationalen Presse“ erwünscht, die der „marxistischen Presse“ aber nicht bzw. nicht zugelassen seien. Kurz darauf begann die erste Verhaftungswelle gegen die KPD, die aus mindestens 46 Mitgliedern bestand.10
Der Mandatsträger der SPD, Otto Ihm, lehnte die Annahme seines Mandates für das städtische Parlament ab. Wie aus Akten des Rathauses hervorgeht, lehnte auch der unmittelbar nachfolgende Kandidat, Albert Weiß, sein Mandat ab, so auch weiterhin seine weibliche Kandidatennachfolge Anna Karstens. "Unterschrieben hatte das Schreiben Emil Maus. Es folgten auf der Rückseite dieses Schreibens Mandatsablehnungsunterschriften von neun weiteren Kandidaten der Liste 2 (SPD).11 Damit haben die Sozialdemokraten die weicheste Widerstandsaktion, die nur möglich war, gewählt. Es ist nicht als Widerstand zu erkennen, sondern sie sind gewichen. Darum wird es ein aus Erpressung herrührendes Schreiben gewesen sein.
Selbt die eigenen NSDAP- Anhänger wurden pausenlos misstrauisch beäugt: Dietrich von Ahlsten war Stadtinspektor und wohnte in der Öesterstr. 39. In die Zeit um 1938, als der Bürgermeister wechselte, fiel auch die „politisch motivierte Trennung“ von ihm.
Weitere Opfer:
Hameier, August; politisch motivierte Maßregelung.
Otto Nitsch, der 1950- 61 Bürgermeister wurde, wurde anscheinend von den Nazis als Kreisobersekretär entlassen.
Malermeister Hermann Wulf aus der Zingelstr. 35; Parteieintritt 1935, Mitglied der NS- Kulturgemeinde geriet ins Kreuz (polizeiliches Vorgehen).
Die Gestapo Kiel forderte 1937 von Landrat Dr. Buchholz eine Liste von Verbrauchergenossenschaften unter gleichzeitiger Angabe der bei jeder Geschäftsstelle beschäftigten Personen. Außerdem gab der Polizeihauptwachtmeister Rusch bereitwillig an, „welcher früheren Partei und deren Unterorganisationen (sie) angehört (z.B. SPD, Reichsbanner, SAJ, Rote Falken, KPD. Usw.) (hatten)“ und fünftens „welche Funktionen (sie) in den politischen Organisationen ausgeübt“ haben. Er fand 7 auf die Anfrage zutreffende Personen.
Der Lagerhalter Ernst Schmidt aus Elpersbüttel war angestellt bei der Verteilungsstelle 13 der Verbrauchergenossenschaft Itzehoe. Er war von 1930 – 33 in der SPD hatte aber keine Funktion. Martha Frank aus der Öesterstr. 85 war in der selben Firma als Lehrling beschäftigt und gehörte keiner Partei an.
Im landwirtschaftl. Konsumverein Südermeldorf- Geest E.G.m.u.H. Meldorf war der Deutschnationale Richard Oesau, Zingelstr. 34, Geschäftsführer und hatte keine Funktion in der Partei. Sein Buchhalter Peter Busch aus den Anlagen 3 gehörte keiner Partei an, ebenso wie der Arbeiter Hermann Carsten aus Bargenstedt und der Müller Claudius Kruse, Österstr. 58.
Arthur Engelbrecht, Markt 3, war Rendant und Geschäftsführer der Spar- und Dahrlehenskasse mit Warenbezug E.G.m.u.H. Meldorf- Marsch in Meldorf. Parteizugehörigkeit keine, so wie sein Angestellter Herbert Sohrbeck, Horst- Wessel- Str. 38. Kein schönes Gefühl, auf Schritt und Tritt zu wissen, dass Schriftverkehr hinter einem geführt wird.
Nach Mitteilung des Herrn Landrat ist der Poststelleninhaber Hermann Nilsson, wohnhaft früher Ammerswurth jetzt Meldorf, Horst- Wessel- Str. 111, seinerzeit auf Grund des §4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen worden, da er nach polizeilichen Feststellungen auch nach der Machtübernahme Gegner der NSDAP gewesen ist. Im Rahmen der angeordneten Erfassung der durch obengenanntes Gesetz betroffenen Personen ersucht der Herr Landrat um Bericht, ob heute noch Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit des Nilsson bestehen. Der Bürgermeister schrieb ihm zurück: „Die Polizeiverwaltung hat nicht die Überzeugung, dass N. für den nationalen Staat eintritt. Meldorf, den 1. September 1937. Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. Schmedtje“
Noch ein weiteres Gleichschaltungsbeispiel. Urschriftlich dem Herrn Landrat oder Vertreter im Amt in Meldorf mit dem Bericht zurückgesandt, dass der angestellte Max Braun, seit dem 31.3.1934 in Meldorf wohnhaft ist. Die angegebenen Personalien sind richtig. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Die Familienverhältnisse sind hier nicht näher bekannt. Braun ist schuldhaft geschieden; er gilt nicht als besonders fleißiger Arbeiter. In politischer, spionagepolizeilicher und strafrechtlicher Hinsicht ist hier Nachteiliges nicht bekannt geworden. Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. Schmedtje. Ohne den Grund für die Anfragen zu kennen, hat man alle Fragen beantwortet. Vermutungen wurden in offizielle Dokumente umgewandelt und so eine Täterbild konstruiert.
Zitate aus einem weiteren Dokument: „Am 29.9.1936 ist der früher im Meldorf wohnhafte Kriegsbeschädigte Schlosser Paul Wiese, geboren am 21.10.1899 in Kiel nach Hamburg, Peterstr. 57/ 59 fortgezogen. Wiese ist Schwerkriegsbeschädigter und hat in Meldorf keine feste Beschäftigung gehabt. Wiese war vor der Machtübernahme einer der tätigsten Kommunisten und wurde auch nach der Machtübernahme überwacht, ohne dass ihm staatsgefährliche Handlungen nachgewiesen werden konnten.
Hier wurde bekannt, dass Wiese jetzt in Hamburg lebt, und eine Miete von 55 RM
bezahlt. Bei dieser Miete taucht die Vermutung auf, dass Wiese diese hohe Miete nicht aus seiner Rente bestreiten kann und dass er vielleicht irgendwie in kommunistischem Sinne tätig ist. Ich mache hiervon Mitteilung mit dem Anheimgeben, eine Überwachung des Wiese auf seine jetzige Tätigkeit und sein politisches Verhalten durchzuführen. Dadurch, dass die Möglichkeit besteht, dass Wiese weiterhin mit früheren Kommunisten in Meldorf in Verbindung steht, würde ich für eine Mitteilung dankbar sein, wenn sich die Verdachtgründe gegen Wiese verstärken sollten. Abschrift Herrn Ortsgruppenleiter Krönke zur Kenntnis.“ Auf diese Weise hat die Stadt Meldorf eine weit hergeholte Vermutung zu einer Handlungsanweisung aufgebauscht, weil die Meldorfer keinen Einblick mehr in die innere Organisation der Kommunisten hatten.
Eine Gleichschaltung erzeugt die Vorstellung von einem Schalter, der umgelegt wurde. Die Staatsbürger sind aus der Verantwortung, denn die trug ein Apparat mit einem Hebel, worauf hin alle Menschenrechte außer Kraft gesetzt wurden. Anschließend wurde der Hebel von den Siegermächten wieder umgelegt, und sofort gab es wieder Rede-, Presse-, Bewegungs-, Arbeits-, Meinungsfreiheit. Dass Meldorfer „gewissenhaft“ ihre „Pflicht“ taten, wir nennen es heute: „gewissenlos Terror ausübten“, wird besser mit dem Begriff „Konzentrationslager“ ausgedrückt, wobei auch das Wort Konzentration eine Verharmlosung ist und außerdem so nur das kleine Gebiet nennt, in dem die Massenverschleppungen im Tod endeten. Dass es Nachbarn in jedem kleinen Kuhdorf gab, die ihrer Denunziationspflicht nachkamen, dafür gibt es kein Wort.
1(HA Nr. 20 v. 24.1.1935)
2 (Dithmarscher Landeszeitung (DLZ) Nr. 190 v. 16.8.1933)
3 Stadtarchiv Meldorf, Bohnsack, Klaus, Die Geschichte der Meldorfer Stadtverwaltung 1869-1988
4 DLZ Nr. 231 v. 3.10.1933 und DLZ Nr. 117 v. 23.5.1934. Mein Vater Harro Wohlenberg hat dort gelernt in der Österstraße und erzählte, der Meister, hätte ihn scherzhaft „mien lütten Jud“ genannt. Darum denke ich, dass die Vermutung, dass der Gärtner David Jude gewesen sein könnte, nicht stimmt.
5 Landesarchiv Schleswig LAS, Abt. 301, Nr. 4508
6 Heider Anzeiger (HA) Nr. 12 v. 15.1.1935
7(HA Nr. 150 v. 1.7.1935. Nottelmann wurde 1944 Kreisgeschäftsführer, Meldorf. Mein Vater beurteilte ihn: „der war harmlos!“ (Anmerkung von Gerd)
8Die Briefe sind im Archiv erhalten
9(DLZ Nr. 73 v. 27.3.1933)
10 (DLZ Nr. 74 v. 29.3.1933)
11(Rathausarchiv, Nr.15300 "Stadtverordnetenwahlen Bd.I")