Bild: Vor der Neulandhalle 1975. Lernen aus der Geschichte ist möglich.

Ganz Deutschland ist ein Koog1

Am 29. August 1935 eröffnete Adolf Hitler den nach ihm benannten, neuen Koog. „Niemand darf vergessen, dass unser Reich auch nur ein Koog am Weltmeer ist....“, drohte er.

Weil die NAZIS nur an Publicity interessiert waren, mussten 62 die Deiche brechen.

DeAdolf- Hitler- Koog war zum einen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der Landgewinnung und der Eindeichung konzipiert. Die ursprüngliche Aufgabe des Küstenschutzes trat in der NS-Zeit sehr in den Hintergrund und wurde von ambitionierten Plänen zur Ausweitung der Landgewinnung überlagert.

8000 unter Zwang und 1500 Freiwillig. Größenwahn.

In den Jahren 1933 und 1934 arbeiteten 8000 Arbeitslose und 1500 Arbeiter des Reichsarbeitsdienstes im Zuge des Generalplans an der Westküste. Die Verantwortlichkeit wurde in die Hände des Gauleiters gelegt. Der stellte noch 1933 dafür einen Generalplan auf, der wegen seiner persönlichen Federführung seinerzeit auch Lohse-Plan hieß. Bis zum Jahr 1942 sollten demnach 13.500.000 Tagewerke im Gesamtwert von 149.000.000 Reichsmark geleistet werden, um 45.000 Morgen Land einzudeichen. Damit nicht genug, nahmen die nationalsozialistischen Planer eine noch viel größere Zeitspanne in den Blick und sprachen von den Ergebnissen in 100 und 150 Jahren, was auf mehreren Karten veranschaulicht wurde. Nach 100 Jahren sollten 43 neue Köge errichtet worden sein, auf denen annähernd 10.000 Menschen leben und arbeiten sollten.

Copy anderer Ideen

Unerwähnt bleibt, dass die Idee der Landgewinnung – mit der sich der NS- Staat schmückte – nicht von den Nazis selbst stammte, und dass die Pläne für die Landgewinnung an der schleswig- holsteinischen Westküste bereits zu Zeiten der von ihnen so gehassten Weimarer Republik erarbeitet worden waren. Es gab bevorzugte Gebiete der Landgewinnung wie natürliche Buchten, bisweilen war Landgewinnung auch ein Nebenprodukt wie nach dem Bau des Hindenburgdamms nach Sylt 1927, als man feststellte, dass dieser die Anlandung ungemein förderte.

Rassenpolitik - die Dummheit, nicht zu merken, was ihre Führer mit ihnen vorhaben.

Zum anderen als neuer Siedlungsraum und zugleich als symbolträchtiger und propagandistisch genutzter Idealtypus einer neuen Gesellschaft im Sinne der NS- Ideologie.Der Begriff ‚Rassenpolitik‘ ist insofern passend, als er die staatliche Verantwortung bezeichnet und in diesem Fall das Innen – die Konstruktion der ‚Volksgemeinschaft‘ – und nicht die Ausgrenzung und Verfolgung von definierten rassischen und politischen ‚Feinden‘ des „Dritten Reichs“ bezeichnet. Zudem sollte deutlich werden, dass es den Nazis hierbei um Ausgrenzung und Abgrenzung ging.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft diente der Rüstungsindustrie und dem Kriegseinsatz.

Das nationalsozialistische Deutschland war schließlich kein Agrarstaat, und angesichts der systematischen Kriegsvorbereitungen wirkten Darrés2 Lehrsätze über die herausragende Bedeutung der Bauern für die ‚Volksgemeinschaft‘ recht unzeitgemäß.

Nazis und Kirche. Gemeinsam etwas für Knaben übrig.

Bei der Eröffnung des Kooges im Jahr 1935 legte Hitler den Grundstein für die Neulandhalle, einen „völkischen Versammlungsraum“. Erbaut wurde das Gebäude auf einer Warft, sodass man es weit über das flache Marschland hinweg erkennen konnte. An der Nordseite standen zwei überlebensgroße Figuren, ein Bauer mit Spaten und ein Soldat mit Gewehr. Hierdurch stilisierte die NSDAP die Verbindung von Arbeit und Kampf, die auch sinnbildlich für die Landgewinnung als Kampf gegen die See („blanker Hans“) zu verstehen ist. Auch hierbei gingen sie geschickt auf die dithmarscher Traditionen ein. Lohse sah diese Stätte nationalsozialistischer Gemeinschaftssymbolik als besonders wichtigen Bestandteil seines Generalplans an und betonte „die große Bedeutung, die der Neulandhalle als Schulungs- und Tagungsstätte im Rahmen des Westküstenarbeitsplanes zukommt“. Er dachte dabei insbesondere an die Jugend, die an diesem Ort im nationalsozialistischen Sinne erzogen werden sollte. Nach Kriegsende übernahm die evangelische Kirche und sorgte 60 Jahre mit dafür, dass eine Aufklärung an der Westküste nicht stattfand.

Ahnenbulgenfälscher.

Die Wahl der Siedler stand ganz im Zeichen der NS- Rassenpolitik. Die Voraussetzung für eine Siedlerstelle war, dass die Bewerber ‚rassisch‘ geeignet waren und nachweisen konnten, dass sie und ihre Vorfahren bis zum Jahr 1800 ‚arisch‘ waren, wie es das Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933 festgelegt hatte. Mit diesem rassistischen und antisemitischen Gesetz sollte die „Neubildung deutschen Bauerntums“ sichergestellt werden. Die Auswahl der Siedler übernahm im Auftrag des Reichsnährstands der Kreisbauernführer Hans Beeck, der streng nach rassischen und politischen Kriterien entschied. Aus den mehreren hundert Bewerbungen bei der Kreisbauernstelle in Meldorf, Nordermarkt 9, wählte Beeck stellvertretend für den Reichsnährstand 92 Siedler aus und berücksichtigte auch einige außerhalb des Auswahlverfahrens, wenn sich dieser wie in einem Fall als „Kämpfer“ erwiesen hatte und wegen Körperverletzung eines Kommunisten rechtskräftig verurteilt waren. „Nur die treuesten Kämpfer der Bewegung sind unter den Siedleranwärtern von den Herren Landesobmann Matthiesen und Kreisbauernführer Beeck, Süderdithmarschen für diesen Koog, der den Namen unseres Führers und Kanzlers des neuen Deutschlands trägt, auserwählt worden.

Bis zuletzt in Sicherheit gewiegt.

Einige Monate vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen wurde ausländischen Besuchern die neuen Köge als Zeugnisse des friedlichen Aufbauwillens des nationalsozialistischen Deutschlands präsentiert, auch wenn die Verherrlichung des Militarismus eigentlich nicht zu übersehen war. Beim Thema Landgewinnung trat dies in der Wahrnehmung jedoch in den Hintergrund, da der viel beschworene „Angriff“ an der Westküste sich nicht gegen Menschen, sondern gegen die Natur richtete.

Touristenflut.

Der Kreisbauernführer von Süderdithmarschen, Beeck, sprach in dieser Angelegenheit am 29. Juli 1936 persönlich mit Goebbels, als er ihm im Reichspropagandaministerium auf einem Flur begegnete: „Ich sprach ihn an und teilte mit, dass der Adolf- Hitler-Koog das Ziel sehr vieler Ausflügler von nah und fern sei, dass 20 bis 40 Autobusse pro Tag im Koog keine Seltenheit seien. Durch diesen ungewöhnlichen starken Verkehr, der nur propagandistischen Zwecken dient, würde die Straße derartig in Mitleidenschaft gezogen, dass eine Oberflächenteerung erforderlich sei, will man nicht die Straße in Grund und Boden fahren lassen.“ Goebbels zeigte den Aufzeichnungen Beecks zufolge sofort Verständnis für dessen Anliegen: „Der Herr Minister gab ohne weiteres zu, dass hier ein sehr starkes Reichsinteresse vorliege und gab einem seiner Herren den Auftrag, diesen von mir persönlichen gestellten Antrag sofort an den Herren Generalinspekteur des deutschen Strassenwesens Dr. Todt weiter zu geben.“ Nur wenig später erhielt der Adolf-Hitler- Koog als erster Koog in der Gegend tatsächlich eine asphaltierte Straße.

Auch der Landrat des Kreises Süderdithmarschen betonte gegenüber der Landesstelle des Propagandaministeriums in Kiel, über die der Kontakt mit den Propagandaexperten gewöhnlich lief, den regen Besuchsverkehr im Adolf-Hitler-Koog und betonte dessen „große Anziehungskraft“. Aus „allen Gegenden des Reichs“ sowie aus dem Ausland kämen Besucher in Omnibussen und teilweise mit „200–300 und mehr Privatkraftwagen“ pro Tag, um den Adolf-Hitler-Koog persönlich zu besichtigen. Der Landrat betonte einmal mehr den großen Nutzen dieses Besucherstroms an die schleswig-holsteinische Westküste: „Die propagandistische Wirkung dieser ununterbrochenen Besuche durch die führenden Männer des In- und Auslandes und durch Tausende von deutschen Volksgenossen und zahlreiche Ausländer ist für die Aufbauarbeit des dritten Reiches nicht hoch genug zu veranschlagen.“

Hans Beek

24. November1896 in Speersdiek bei Windbergen (Holstein), nahm er von 1916 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil, war NSDAP- Mitglied und SS-Untersturmführer, Gemeinde- und Amtsvorsteher der Kirchspiellandgemeinde Süder-Meldorf-Geest, Abgeordneter im Reichstag für den Wahlkreis 12 (Thüringen). Sein Büro war am Nordermarkt. Er hatte sich schon lang vor der Machtweiterreichung einen Namen gemacht als Wahlkampfredner. So wurde er belohnt mit dem Auftrag, den Koog zu verwalten und die Siedler auszuwählen.

Spielzeugkoog

Einen distanzierten Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hat es im ehemaligen Musterkoog des „Dritten Reichs“ – soweit bekannt – nicht gegeben. In den 1970er Jahren erschienen in der Dithmarscher Presse gelegentlich Berichte aus der NS-Zeit, in denen die Ordnung und der Gemeinschaftssinn der Bevölkerung des Adolf-Hitler-Koogs gefeiert wurde. Die Vorzeigeköge waren ideologische und rassenpolitische Gemeinschaften, die massenmedial als Miniaturausgaben der „Volksgemeinschaft“ präsentiert wurden. Zur derzeitigen Überlegung um die Neulandhalle und der Stilllegung des dazugehörigen friedrichsköger Hafens fallen mir prompt ein paar Fragen ein. Woher kommt der überschwängliche Aufklärungswunsch, der mit dem wirklichen Wunsch nach Aufklärung nicht übereinstimmt? Nun, da alle Zeitzeugen tot sind, entfällt der Sinn als Wallfahrtsort der Erinnerung und muss zu Mahnmalen des Kampfes gegen Faschismus und Krieg umdefiniert werden. Eine Stätte der Erinnerung an zentraler Stelle ist seit 65 Jahren überfällig, sonst besteht die Gefahr, dass die Neulandhalle mitsamt ihrer Köge dem Kapitalismus geopfert wird, der sie einst geschaffen hat. Dazu gehört auch die Schulung der Jugend zur Selbstbestimmung, Eigeninitiative und Selbstverwaltung. Darum ist es gut, dass das Gebäues aus der Hand der Kirchen kommt, die es die ganze Zeit kommerziell als Freizeitzentrum genutzt hat.  Der Einwand gegen einen kompletten Abriss, mit dem Fahrrad wäre sie leicht zu erreichen, zählt aus vielen Gründen nicht. Welche Antifaschistin würde es hier und heute wagen, mit dem Fahrrad im Dieksanderkoog herumzuradeln. Die Wahrscheinlichkeit, auf dem Weg zu einer  antifaschistischen Gedenkstätte unbehelligt zu bleiben ist nicht geringer als auf einer Raststätte in Mecklenburg- Vorpommern. Und warum soll ausgerechnet heute der Kampf gegen Faschismus und Krieg von Naturgewalten abhängig gemacht werden. Zum Widerstand gegen Rechte Aufmärsche hat sich stets ein Ort gefunden, solch ein umstrittenes Gebäude ist für die Aktivisten keines Gedankens wert. Gegen viele Bemühungen, selbstverwaltete Kultur-, Aktions- und Informationszentren zu errichten, ist schon einige Male Eutiner Polizei gerufen worden. Weitere Fragen dazu sind, wie können die Zwangsarbeiter, die den Koog aufgebaut haben, nachträglich entschädigt werden. Wem gehört der Dieksanderkoog wirklich und wie müssen die Besitztümer neu aufgeteilt werden?

1Eine Zusammenstellung aus dem Begleitheft der Ausstellung 200Ganz Deutschland ist ein Koog; Dithmarschen und der Nationalsozialismus" im Dithmarscher Landesmuseum; Meldorf, dem Aufsatz Lars Amendas: „Volk ohne Raum schafft Raum“ Rassenpolitik und Propaganda im nationalsozialistischen Landgewinnungsprojekt an der schleswig-holsteinischen Westküste, Informationen zur schleswig- Holsteinischen Zeitgeschichte, sowie von Kai Dohnke- das Kernland nordischer Rasse grüßt seine Führer, Informationen zur Schleswig- Holsteinischen Zeitgeschichte, Winter 2008.

2Ricardo Walther Oscar Darré, Berater Hitlers in landwirtschaftlichen Angelegenheiten, fabulierte vom „Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse“ und „Neuadel aus Blut und Boden“, womit er versuchte, seine antisemitischen, antisowjetischen und antikapitalistischen Argumente mit der Weltwirtschaftskrise und den Zerfall der Weimarer Republik zu begründen. Reichsbauernführer Richard Walther Darré hatte außerdem gute Kontakte zum Auhof des NSDAP- Kreisleiters Martin Matthiessen, der einer der 65 Güter war, auf denen Reichsweit 650 Mitglieder der „Artamanen“ mit einer völkischen, agrarromantischen Blut-und-Boden-Ideologie einen freiwilligen Arbeitsdienst in der Landwirtschaft propagierten. Auch Darré war Mitglied dieser religiösen, bewaffneten Sekte.