Die Häufung von Scheusalen in Meldorf wird kurz vor Drucklegung um zwei weitere Personen bestätigt. Bei den beiden folgenden Leuten geht es nicht um die Verfolgung politisch Adersenkender sondern um den Bereich der Verfolgung von Menschen aufgrund ihres Aussehens. Grundlage des Programms, durch das die Nazipartei sich letztlich von allen anderen Rassisten, Antisemiten weltweit unterschied, waren die „Nürnberger Gesetze“.
evangelisch, dann gottgläubig, ist am 15.2.1877 in Bremen geboren, studierte seit 1901 Medizin in Göttingen, war 1904 -1912 praktischer Arzt in Kirchbimke (Kreis Zeven) und Niebüll (Nordfriesland). War ab 1912 im Staatsdienst in Flensburg und 1914- 1916 in Danzig beschäftigt und fungierte 1916- 1934 in Meldorf als Kreisarzt der Kreise Süder- und Norderdithmarschen.
Er trat 55- jährig in die NSDAP ein am 1.2.1932 mit der Mitgliedsnummer: 959290. 1934-37 wechselte er im Dienst der Sächsischen Regierung nach Dresden als Medizinalrat und Leiter des sächsischen Erbgesundheitsamtes und stieg 1937-42 zum Oberregierungsrat im Reichsinnenministerium auf. Dann trat er als Untersturmführer am 11.9.1938 in die SS ein unter der Nummer 91165 und war dort 1938/39 im „Rasse- und Siedlungshauptamt“ (RuSHA). Das RuSHA war neben dem SS-Hauptamt und dem Hauptamt SD (Reichssicherheitsdienst) eines der drei ältesten SS-Hauptämter. Das „Rasseamt der SS“ wurde bereits Ende Dezember 1931 gegründet und war zuständig für Rassenuntersuchungen und Ehegenehmigungen für Angehörige der SS. Später wurde es als „Rasse- und Siedlungsamt“ bezeichnet und ab Januar 1935 als SS- Hauptamt geführt. Im Zusammenhang mit der Bildung des Reichskommisariats für die Festigung deutschen Volkstums und der Ausarbeitung des „Generalplans Ost“ übernahm es Aufgaben der Rassenselektion der Bevölkerungen der besetzten Gebiete sowie der Auswahl von Kandidaten für die geplante Ansiedlung entlassener SS-Angehöriger im Osten. Zum Kriegsbeginn 1939 wurde er zum Führer der Sanitätssonderstaffel eingezogen, ging 1942 in den Ruhestand, bis auf eine zeitweilige Tätigkeit als Betriebsarzt in einem Berliner Industriebetrieb und ist mit 69 am 18.10.1946 in Flensburg gestorben.
Wie der gute Mann in Meldorf auf einzelne Bürgerinnen und Bürger einwirkte, mit dem Blick auf Behinderte oder anderweitig „Auffällige“, hab ich noch nicht herausgefunden. Immerhin hatte er als Kreisarzt „Einweisungsbefugnis“. Das heißt, mit seinem Gutachten konnte jeder jederzeit in eine Heilanstalt eingewiesen werden. Er war allerdings eifrig bemüht, sein „Wissen“ an Interessierte weiterzugeben. Am 17.8.1933 tagte, der Presse nach, das erste Mal die Ortsgruppe der NSFrauenschaft Meldorf. Unter der Leitung der neuen Kreisleiterin, Frau Wigger, Marne, kamen an diesem Abend auch viele weitere Ortsgruppenleiterinnen zusammen. Das politische Referat des Abends hielt Kreismedizinalrat Dr. Vellguth. Das Them Rassenkunde", das ihn beschäftigte, wurde anscheinend das erste Mal in Meldorf behandelt. In der Folgezeit sollte über dieses Thema auch in Meldorf des öfteren gesprochen werden.1
Diese Rassenkunde stellt sich für uns heute völlig absurd da. Wenn ein christliches Mädchen ein Kind von einem Juden bekommt, ist das ein „Mischling“. Dass Sex etwas mit Religion oder Volkszugehörigkeit zu tun haben könnte, ist heute so unverständlich wie nur irgend was. Warum sollte also jemand so etwas denken? Verschiedene Beispiele zu dem Thema können ein Bild vom geistigen Zustand der Gesellschaft zu der Zeit machen. Man war der Meinung, dass ein Sohn von einem Vater abstammt und erbberechtigt ist. Dahinter steckte eine riesige Landwirtschaftsindustrie, die enorme Einträge einfuhr. So hatten Bauern zu der Zeit angestellte Betriebswirtschafter, so unbeschreiblich reich waren sie. Es war ein lukrativer Posten, sodass es wichtig war, dass ein Kind nicht behindert war. Man erzählt sich heute noch, dass Dithmarscher Bauern ihre eigenen Kinder, wenn sie ihnen nicht gefielen, weil man sie für geistig behindert ansah, oder einfach Mädchen waren, in das Prinzenmoor, die nächste „Heilanstalt“ abgaben, was bedeutete, dass sie sie nie wiedersahen. So ließ sich das mächtige Bild von den Großbauern mit ihren Höfen, die teilweise viermal so groß waren, wie die Gutshöfe anderswo, aufrechterhalten. Und der Arzt als Rasseideologe war sozusagen die Klammer, die das zusammenhielt, und zwischen rein und minderwertig schied.
Leopold Vellguth hat auch Bücher geschrieben:
Rassenhygieniscbe Propaganda; in: Praktische Gesundheitspflege in Schule und Haus 2/1933. H. 2. S. 19-24
Die Entwicklung und Pflege der Erban1agen; in: Gesundheit und Erziehung 46/1933, H. 10, s. 360-365
Eugenische Erfahrungen in einem schleswig-holsteinischen Landkreise (Dithmarschen)
Er war Verfasser mehrerer Aufsätze, u.a. in: „Deutsches Recht“ 1935 S.34ff.: Die Aufgaben der Erbgesundheitsämter. Quellen: Auskunft von Ludwig Vellguth, Wedel/Holstein.
Die Pocken im Regierungsbezirk Schleswig von April 1916 bis August 1917: Übersicht über die Ergebnisse der Verimpfung von echtem Pockenstoff während des Jahres 1917 / von Vellguth
Nachgeburtsbefunde bei Mehrlingen und Ähnlichkeitsdiagnose von F Steiner – 1935 Geh. Eat Prof. P. Straßmann, Berlin, Chefarzt Dr. v. Stuekradt, Berlin, iVfed. -Rat. Vellguth, Meldorf, jetzt Dresden, Prof. G. A. Wagner, Berlin. …
Hermann Vellguth, Sohn von Leopold, wurde 1906 in Kirchtimke/Hannover geboren, muss ab 1916 in Meldorf zur Schule gegangen und hier aufgewachsen sein. Er galt als jüngerer nationalsozialistisch geprägter Spitzenbeamter in der Gesundheitsverwaltung und war seit Februar 1932 NSDAP- und und vier Monate später SS- Mitglied. Von 1933 bis 1936 hatte er in Dresden zahlreiche Posten; wissenschaftlicher Leiter der AbteilunErb- und Rassenpflege" am Deutschen Hygiene- Museum (DHM) und am Rassenpolitischen Amt Sachsen", danach Richter aErbgesundheitsgericht" (EGG) Laut Personalakte des DHM wurde Vellguth Ende Januar als Medizinalrat im Reichsinnenministerium füErb- und Rassenpflege" zuständig nach Berlin berufen. Dieser Dr. Vellguth aus der sächsischen Gauleitung, nun schon Oberregierungsrat, nahm teil an der Sitzung der erbbiologischen Kommission des Deutschen Gemeindetages am 14. Juni 1935 in Berlin und war als Rassenexperte Mitunterzeichner des Rassengesetzes vom 14. zum 15. September 1935, also des „Euthanasie"- Gesetzes2, das die Grundlage für die Sterilisierung, also „Unfruchtbarmachung“ zigtausender Frauen und Männer bildete. Dieses diente dazu, den jeweiligen Menschen eine Zukunft durch ein oder mehrere Kinder unmöglich zu machen. Ab Januar 1937 saß er im Staatlichen Gesundheitsamt in Ostpreußen, seit Oktober 1937 im Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren Berlin, geleitet von Wilhelm Frick, der eine tragende Rolle bei Aufbau und Durchsetzung des NS-Staates spielte und als Kriegsverbrecher in Folge der Nürnberger Prozesse hingerichtet wurde. Ab Dezember 1938 arbeitete er als Berater für den Aufbau der Gesundheitsämter in Wien mit dem Schwerpunkt der Erb- und Rassenpflege. Seit November 1939 im Hauptgesundheitamt der Stadt Wien; ab Frühjahr 1941 war er Gauamtsleiter des Rassenpolitischen Amtes in Wien und wirkte ab 1940 als Chef des Hauptgesundheitsamts der Gemeindeverwaltung deReichsgaues Wien" (Schaltstelle der ausmerzendeRassenhygiene"). Von ihm wurden mehr als 700.000 Personen erfasst, welches von systematischer Diskriminierung bei der Vergabe von Sozialleistungen über staatlich erzwungene Sterilisierung, Internierung in Jugendfürsorgeanstalten und Zwangsarbeitslagern bis hin zur Ermordung im Rahmen deEuthanasie" reichte. 1942 führte er die Wanderausstellung des rassepolitischen Amtes über die Werkstätten des DHM durch. 1943 wurde er zur Wehrmacht einberufen, trat im Februar in die Waffen- SS ein und wurde stellv. Leiter der „Dienststelle Reichsgesundheitsführer Bündische Jugend. Wiking- Gilde“. Er wurde am 28.08.1944 als vermisst gemeldet3. Nach 1945 wurde er - vergeblich - auf einer Kriegsverbrecherliste zur Fahndung angeführt4. Nach dem Krieg konnte der leidenschaftliche Schädelsammler friedlich und ungestört in Hennstedt seine Praxis betreiben.
"Das Rassengesetz ist in der Nacht vom Sonnabend 14. zum Sonntag 15. September 1935 entstanden", berichtet am 26. September 1935 der Rassenexperte Dr. Vellguth aus der sächsischen Gauleitungund zwar wünschte dies der Führer, da die Gegensätze Streicher – Schacht doch bedenklich wurden. Er konnte dies so schreiben, denn er, der zur Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung zu den wenigen humangenetisch vorgebildeten Ärzten unter den Parteianhöngern der NSDAP zählte, war federführend dabei.
Einmal um „wilden“ Antisemitismus zu verhindern, also das, was in Friedrichstadt geschah und mit der Reichsleitung nicht abgesprochen war. Die „Partei“ erhoffte sich damit eine bessere internationale Publicity. Zum anderen gab es den Konflikt zwischen »Gefühlsantisemiten« der Streicherschen Richtung, die einen weitreichenden Judenbegriff wollten, und die »Vernunftantisemiten« mit dem Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht an der Spitze, die aus wirtschaftlichen Gründen einen eng begrenzten Judenbegriff forderten und daher die Eingliederung aller »Halbjuden«. Einem Bericht über die Judengesetzgebung vom 15. September 1935 des Dr. Vellguth aus Dresden zufolge würde der Judenbegriff wie folgt gefasst:
1. Gruppe: Volljuden (Volljuden und ¾ Juden)
2. Gruppe: Mischlinge (½ und ¼ Juden)
3. Gruppe: (Juden, die unter ¼ liegen)
Volljude war nun, wer von mindestens drei jüdischen Großeltern abstammte. Die Zahlen von 550 000 Volljuden, 20000 Halbjuden und 100000 Vierteljuden finden sich in einem von Dr. Hermann Vellguth 1935 verfassten Bericht5.
1917 erschien der Bestseller- RomaDie Sünde wider das Blut", verfasst von dem oben genannten Artur Dinter, der 1920 die NSDAP mitbegründete. Der Roman vermittelt anhand der tragischen Ehegeschichte seinearischen" Helden ein modellhaftes Szenario: Jede deutsche Frau werde durch Kontakt mit einem jüdischen Mann für immejüdisch verseucht", so dass selbst die Kinder, die sie später von einem nicht- jüdischen Manne empfängt, eigentlich Juden seien.
„Die sog. Imprägnationstheorie, die besonders von Dinter und Streicher vertreten wird, ist völlig unbegründet. Ein arisches Mädchen wird also durch Verkehr mit einem Juden nicht zeitlebens geschändet." formulierte Vellguth6.
Im August 1939 fand in Berlin die Besprechung der Einführung Nürnberger Gesetze zur NS-Zwangssterilisation in den Heil- und Pflegeanstalten statt. Teilnehmer waren u.a. Oberregierungsrat (ORR) Claaßen von der Dienststelle „Stellvertreter des Führers“, Ministerialrat Linden aus dem Reichsinnenministerium, ORR Ruttke, Rassenhygieniker und Mitverfasser des maßgeblichen Kommentars zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN), Reichsärzteführer Conti und Medizinalrat Vellguth. Letzterer war ab Dezember 1938 als Berater für den Aufbau der Gesundheitsämter in Wien mit dem Schwerpunkt der Erb- und Rassenpflege tätig. Im Protokoll findet sich der Vermerk, dass „eine möglichst beschleunigte Einführung [...] geboten“ sei und „die Beachtung der vom Nationalsozialismus geschaffenen Ehehindernisse notwendig“ wären.Tatsächlich durchgeführt wurden von 1934-1945 ca. 400 000 Sterilisierungen. „Ehehindernis“ besagte, wenn einem Paar die „Erbgesundheit“ fehlte, das heißt wenn der Mann oder die Frau Merkmale aufwiesen, die unter das „Rassegesetz“ fielen, d.h. Juden waren, eine andere Hautfarbe hatten oder eine Behinderung nachgewiesen werden konnte.
Die Ideologenschmiede, das DHM befand sich in Dresden. Die Mitglieder wurden vom Sächsischen Justizministerium für die Dauer eines Kalenderjahres bestellt. Hier wurde die Forschung betrieben und dafür dem nationalsozialistischen Staat treu ergebene Mitarbeiter geholt, wie der seit 1933 mit der Bearbeitung der rassenkundlichen und rassenhygienischen Fragen beauftragte SS- Arzt Herrmann Vellguth.
Eine weitere Institution für die Rassegesetze war das Erbgesundheitsobergericht Sachsen zu dem neben dem Vorsitzenden, dem Juristen und Senatspräsidenten Paul Zachmann, als ärztlicher Vertreter der Rassenhygieniker Hermann Vellguth gehörte. Hier fand die Vergabe deEhestandsdarlehens" statt. DePrüfungsbogen für Eheeignung" enthielt einen Haufen gefährlicher Fragen. Die Eheleute mussten Untersuchungen auf sich nehmen, welche sich auf die ganze Familie erstreckten und eröffneten damit Verdächtigungen. Damit ließe sich, auch erklären, weshalb nur ein Drittel bis ein Viertel überhaupt Anträge stellten7. Das Geld erhielt der Mann, obwohl daabkindern" des Darlehens, also Geburt, Haus- und Erziehungsarbeit, Frauenarbeit war. Ebenfalls am Erbgesundheitsobergericht an Sterilisierungsverfahren beteiligt war der Leitende Arzt der Medizinischen Klinik am Rudolf- Heß- Krankenhaus Dresden, Louis Radcliffe Grote. Grote war an mindestens sieben Fällen in die Verurteilung von Frauen in Sterilisierungsprozessen am Erbgesundheitsobergericht beteiligt. Darüber hinaus nahm er auch an einer Reihe von Verhandlungen über die Unfruchtbarmachung von Insassen der Landesgefangenenanstalt Hoheneck im Medizinalbezirk Chemnitz teil. Hier war die Brücke zwischen Vater und Sohn. Der Vater Leopold sammelte die nötigen Daten im SS- Rasseamt und erteilte die Genehmigungen und Sohn Hermann entschied dann mithilfe des Erbgesundheitsgerichtes darüber. So befand sich eine ungeheure Macht in den Händen der Familie Vellguth, die diese auch so nutzen konnten, dass Daten über sie selbst bis heute unter Verschluss sind.
Die ORR Kurt Hack und HermannVellguth, sowie der Allensteiner Medizinaldezernent August Giesbertz waren zeitweise Mitarbeiter bzw. Leiter der Gauämter für Rassenpolitik. Dort wurden Ausstellungen und Schulungen ausgearbeitet, wie die beiden mit den bezeichnenden Namen: „Volk und Rasse; Wanderschau des DHM Dresden; 1934 und Blut und Rasse; Wanderausstellung der Gauleitung Sachsen der NSDAP mit Unterstützung des DHM Dresden; 1936“. Eine Anklage gegen Hermann Vellguth hat zu seinen Lebzeiten nicht stattgefunden. Das GzVeN wurde nach 1945 nicht als NS- Unrecht eingestuft, dementsprechend sind Zwangssterilisierte und ‚Euthanasie‘- Opfer nicht als NS- Verfolgte anerkannt, den Zwangssterilisierten unEuthanasie"-Geschädigten ist bis zum heutigen Tage der Verfolgten-Status verwehrt geblieben. 90 Prozent von ihnen waren Frauen.
1(DLZ Nr.192 v. 18.8.1933) nach Jens Peter Biel
2vgl. Klee 2003: 638
3vgl. Stephan, 1986. wie Amn. 2. S. 439; Bundesarchivbulletin. BDC. Karteikarte der Reichsärztekammer
4vgl. Seliger, Die Verfolgung normabweichenden Verhaltens im NS-System, S. 425, und Malina, „Führen“ statt Heilen, S. 149
5 RGVA – russisches Militärarchiv, 500k·1·343. Bl. 47 f.
6 (Bericht in: Sonderarchiv Moskau, 500, 1, 343)
7Gisela Bock, Gleichheit und Differenz in der Nationalsozialistischen Rassenpolitik, 1979, in Vandenhoeck und Ruprecht, Geschichte und Gesellschaft.