Der 91 Jahre alte Zeuge und Nebenkläger im sog. Stutthof Prozess wandte sich mit lauter, bewegter Stimme an die Anwesenden im Gerichtssaal: «Ich frage euch alle hier: An was kann man glauben, wenn Menschen so etwas Menschen antun können?» Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring antwortete: «Das ist eine Frage, die wir nicht beantworten können.» Koryski war 1944 als 16-Jähriger aus Litauen in das Lager bei Danzig gebracht worden. Er sei zusammen mit anderen Juden in einer Baracke untergebracht gewesen. Anfang 1945 überlebte er einen Todesmarsch mit Tausenden Gefangenen Richtung Westen, bis ihn die Rote Armee befreite. In Israel arbeitete er später als Automechaniker. Meier-Göring fragte den Zeugen, warum er sich zu der Aussage vor Gericht entschlossen habe. "Für mich ist es nicht einfach. Ich komme nicht aus Rache. Allerdings: Ich beschuldige, ich verzeihe nicht." Er hält inne. "Ich will, dass die Welt erfährt, was passiert ist. Alle sollen alles wissen." Besonders die nächsten Generationen. "Meine Rache ist meine Familie, meine Angehörigen, die hier im Saal sind", sagt Abraham Koryski. "Sie zeigen, dass ich es geschafft habe, das alles zu überleben."
Hermann Göring hätte geantwortet: "Ich glaube an die Bewegung". Die Anklage ist eifrig bemüht, dem 94-jährigen Bruno Dey nachzuweisen, dass Teil der Vernichtungsmaschinerie war. Er gehörtet 1944 mit 17 dem SS-Totenkopfsturmbann an, dem polnischen Nazi- Netzwerk, die schon vor dem Einmarsch Hitlers das KZ aufgebaut hatten und die Wachtürme im Konzentrationslager östlich der Stadt Gdansk besetzten.
Vor einem Monat hat erst Moshe Peter Loht (Florida USA) als Zeuge und Nebenkläger gegen Bruno Dey ausgesagt. SS- Wachmänner, wie dieser, verhinderten nicht nur, dass Häftlinge entkamen. Sie sollten auch Revolten niederschlagen, die Befreiung der Gefangenen von außen verhindern und sie zur unmenschlich harten Zwangsarbeit eskortieren. Bruno D. steht vor dem Jugendgericht. Zum Tatzeitpunkt war er 17 und 18 Jahre alt. Am 18. April 2019 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage gegen den 92-jährigen wegen Beihilfe zum 5230-fachen Mord erhoben habe. Der Hamburger war den Angaben zufolge von August 1944 bis April 1945 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig als Wachmann im Einsatz. Dabei soll Dey "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Weil er zur fraglichen Zeit erst 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war, solle sich der 92-Jährige vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg verantworten. Als Termin für die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde der 17. Oktober 2019 genannt. Nachdem ein medizinischer Gutachter den Angeklagten für verhandlungsfähig erklärt hatte, wurden insgesamt 10 Verhandlungstage bis zum 17. Dezember 2019 angesetzt. Mit Rücksicht auf die Gesundheit des Angeklagten darf jedoch nur 2 Stunden pro Verhandlungstag verhandelt werden. Dass er sich der Fahndung entzogen hat, nachdem er das 21. Lebensjahr vollendet hatte, wurde noch vor keinem Erwachsenengericht verhandelt.
Johann Rehbogen Am 16. Oktober 2017 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund Ermittlungen gegen einen zu diesem Zeitpunkt 93-jährigen ehemaligen Waffen- SS- Mann aus dem Kreis Borken sowie gegen einen Wuppertaler führe. Die Entscheidung, ob Anklage erhoben werde, sollte im November fallen. Der Wuppertaler sei 92 Jahre alt und streite die Vorwürfe ab, hieß es. Am 12. Juli 2018 teilte das Landgericht Münster mit, das Verfahren verzögere sich, da die Anwältin des inzwischen 93-jährigen diesen für dauernd verhandlungsunfähig halte. Außerdem laufe ein Verfahren wegen Befangenheit gegen den bisher gutachtenden Mediziner. Das Gerichtsverfahren wurde letztlich am 6. November 2018 eröffnet.
Zum Beginn der Hauptverhandlung ließ sich der 94-jährige Johann Rehbogen dahingehend ein, dass er kein Nazi gewesen sei und von Tötungen nichts mitbekommen habe. Der fürchterliche Zustand der Gefangenen sei ihm nicht verborgen geblieben, er habe sich jedoch nicht gegen den Einsatz gewehrt da er "Angst vor den Nazis gehabt" habe. Der Staatsanwalt schätzte diese Aussagen als unglaubwürdig ein. Der unangenehme Gestank, der vom Krematorium herrührte, sei beim Wachestehen nur schwer zu ertragen gewesen, von Erschießungen, Prügelstrafen, Mordaktionen habe er aber nichts gehört oder gesehen. Der Historiker Stefan Hördler führte als Gutachter aus, Rehbogen müsse sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet haben. Am 25. Februar 2019 teilte das Landgericht Münster mit, der inzwischen 95-jährige Johann Rehbogen sei gemäß einem medizinischen Gutachten nicht mehr verhandlungsfähig. Mit Beschluss vom 29. März 2019 stellte die Jugendkammer des Landgerichts Münster das Verfahren wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ein.
Am 6. Oktober 2019 wurde nach Vorrecherchen des NDR bekannt, die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittele gegen eine zu Veröffentlichungszeitpunkt 94-jährige Frau im Landgerichtsbezirk Itzehoe, der als ehemalige Lager-Sekretärin Beihilfe zum Mord zwischen 1943 und 1945 in noch unbekannter Höhe vorgeworfen werde. Eine Anklageerhebung und der Beginn des Hauptverfahrens sei noch nicht abzusehen.
23.09.2019 10:56 Uhr Er verharmloste den Holocaust bis zuletzt: Der 96-jährige ehemalige SS-Mann Karl M. aus Nordstemmen (Landkreis Hildesheim) ist tot. Ein Sprecher des Landgerichts Hildesheim teilte mit, das Verfahren gegen ihn wegen Volksverhetzung werde eingestellt, sobald eine Sterbeurkunde vorliege. Mehr als ein Dutzend Nebenkläger hatten zu dem Gerichtsverfahren anreisen wollen, hieß es in den Medien. "Ich bereue nichts", sagte er, außerdem: die Opfer eines von der SS begangenen Massakers 1944 in Frankreich seien selbst an ihrer Erschießung schuld gewesen. Er wurde in Abwesenheit dafür in Frankreich zum Tode verurteilt, aber von Deutschland nie ausgeliefert.