Aufbau Dithmarschen

Die ersten Naziaktivisten waren Kreishandwerksmeister Hans Kummerfeld, Nordhastedt und Butterhändler Emil Paulsen (geb. 1897) aus Meldorf, Mitglied der „Orgesch1, 1923 Ausbilder der „Jungmänner im Stahlhelm“, im Sommer 1926 Ortsgruppen- Führer und SA- Führer des „Sturm Dithmarschen“2, beide waren nach dem Krieg Mitglied der Orgesch und des Stahlhelm. In Albersdorf war es der Druckereibesitzer Ferdinand Dieckmann (1890), Vorsitzender des Albersdorfer Handwerkerbundes, ehemaliges Mitglied der DNVP, VSB3 und Stahlhelm und späterer Bürgermeister von Meldorf sowie die beiden jungen Angestellten Hans Gosch und Hans Hinrichsen, und in St. Michaelisdonn der junge Bankbeamte Willi Ehlers (geb. 1904), die ebenfalls vom Stahlhelm zur Nazipartei gewechselt waren.  Seit 1924, neun Jahre vor der „Machtergreifung“,  wurden in Dithmarschen Ortsgruppen aufgebaut. Den Anfang machte die Landgemeinde Lunden im Herbst 1924 mit einer vom kaufmännischen Angestellten Otto Diers (geb. 1901) und den Bauern Willi Looft (geb. 1902) und Richard Wiborg gegründeten Ortsgruppe. Am 30.1.1926 fand eine öffentliche Versammlung vor 50 Besuchern in Heide statt. Am 21.11.1926 fand eine Kreistagung, auf der die erste Kreissektion der schleswig- holsteinischen NSDAP gebildet wurde, statt, die der St. Michaelisdonner Ehlers übernahm. Claas Thomsen wurde mit dem Aufbau einer SA 4 beauftragt. Die Heider bzw. Dithmarscher SA, Trupp 16 wurde 1926 gegründet und konnte wegen arbeitsloser Mitglieder nicht immer einheitlich im Braunhemd auftreten. Ortsgruppen (OG)- Führer Brauer sagte dazu, nicht das Hemd ist es, sondern der Geist, der in den Herzen unseres Deutschen Volkes lebt. Nun folgten Meldorf, Albersdorf, Nordhastedt, Wesselburen, und St. Michaelisdonn 1926, Süderhastedt 1927, Marne, Burg/ Dithmarschen, Tellingstedt, Hennstedt, Friedrichstadt und die Kreisgruppe Dithmarschen 1928.

Am 10.12.1927 sprach Hitler in einer vom Gau- Schleswig- Holstein speziell für die Bauern in Hamburg einberufenen sogenannten „Landvolkversammlung“  im Zirkus Busch in Hamburg vor fast 4000 Besuchern. Insgesamt marschierten hinter der SA- Standarte 100 Schleswig- Holstein- Nazis im Braunhemd, auch aus Dithmarschen und dem Kreis Steinburg.

Im Januar 1928 führte die NSDAP eine Protestkundgebung  in der Süderdithmarscher Kreisstadt Meldorf durch. Beeck und Kummerfeld trugen das Parteiabzeichen und hielten mit Antisemitismus gespickte Reden aus der Feder des Gauleiters Lohse, verteilten 7000 Flugblätter und hielten danach eine öffentliche Versammlung ab, in der Gauleiter Lohse wie immer mit derselben Rede auftrat.

Der erste Auftritt zur Reichstagswahl der Nazis fand am 23.3.1928 im Heider Stadttheater statt, das dem NSDAP- Mitglied Friedrich Bossel gehörte. Unkritisch und ausführlich berichtete der Heider Anzeiger von der menschenverachtenden Politik, die die Nationalsozialisten planten.

Auf der Liste für den Reichstag kandidierte hinter dem Spitzenkandidaten Graf Reventlow der Dithmarscher Bauer Claus Rönnfeld, Westerwohld (geb. 1884, NSDAP- Mitglieds- Nr. 406795). Auf der Liste für den preußischen Landtag auf dem 3. Platz der NSDAP- Liste war der Schmiedemeister Kummerfeld aus Nordhastedt (geb. 1887, Mitgliedsnummer 58512). Der zählte zu den aktivsten Mitgliedern und spielte auch nach der Machtergreifung  eine wichtige Rolle in Schleswig- Holstein. Seit 1932 Mitglied des preußischen Landtags wurde er am 12.11.1933 Mitglied des Reichstages. Dazu übernahm er die Präsidentschaft der Handwerkskammer zu Flensburg und wurde Gauhandwerksmeister.

Auf Dithmarscher Seite gehörten noch der einzige Landwirt Hans Beeck aus Speersdieck (geb. 1884, Mitglieds- Nr. 20872) bei Windbergen geboren, auf dem 8. Platz kandidierend, dazu. Den  7. Platz belegte Landarbeiter Peter Hansen, Barlt.Am 1. September 1928 trat der Politiker und Autor Hermann (genannt Bonn) Glüsing ein und wurde sogleich Schriftführer der Ortsgruppe Wrohm. Ab 1945 war er CDU- Mitglied und Bundestagsabgeordneter. Später erklärte er das so: „die ganze Sache mit der DNVP und dem Stahlhelm (war ihm) nicht attraktiv genug und etwas zu lasch.“ Er wäre damals praktisch „Revolutionär“ gewesen. Das schadete ihm nicht auf seiner Karriereleiter zum Kreispräsident von Dithmarschen. Noch heute wird er von dithmarscher CDU- Anhängern und Kreisangestellten verehrt.

Am 14.10.1928 war Adolf Hitler in Heide. An die 1800 SA- Männer, 8 Standarten und eine Reiterformation marschierten auf dem Marktplatz auf. In den Monaten September und Oktober wurde Dithmarschen einem wahren Veranstaltungsmarathon unterzogen mit 42 Veranstaltungen mit über 6000 Besuchern.

1929 befanden sich vier Dithmarscher Abgeordnete im schleswig- holsteinischen Provinziallandtag: Der Landmann Hermann Peters aus Hochdonn war SPD und die anderen drei NSDAP’ler Beeck, Kummerfeld und Landwirt Hermann Meister aus Süderdeich.

Im März 1930 wurde das Rote Hakenkreuz gegründet, dem zu Anfang zwölf Frauen beitraten. Den Vorsitz übernahm Helene Nottelmann. Im Nov. 1930 zählte die Gruppe 39 Frauen. „Durch Pflege der Stammeseigenart innerhalb des Dithmarscher Volkstums kämen hier die völkischen Aufgaben unserer Bewegung zu ihrem Recht. Es gelte die neue Festigung des Familiensinnes, in der Jugend das heilige Verpflichtungsgefühl  gegen Art und Blut zu wecken. Der Aufreibende Kampf um Politik sei immer noch Sache des Mannes gewesen.“ Am 1.10.1931 wurde aus dem Roten Hakenkreuz die NS- Frauenschaft gegründet. Im Sept.

1931 entstand eine Litzmann- Mädelgruppe, benannt nach dem Weltkriegsgeneral und Parteigenossen, die auf Parteiveranstaltungen mit Tänzen und Liedvorträgen auftrat und für eine Verschönerung  des Abends sorgte. Ihre Führerin wurde Inge Lienau. Am 9. August 1931, am Tag des Volksentscheids, kam es in Meldorf zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Meldorfer SA und z.T. auswärtigen Reichsbannerleuten, die dazu führten, dass zeitweise das Wahllokal geschlossen werden musste.

Am 25.9.32 kam Hermann Göring und sprach auf der Heider Rennbahn vor 3600 Männern der SA. In diesem Zusammenhang  vermerkte die Heider NSDAP selber, dass die Standarte 85 „Dithmarschen“, die größte Standarte Deutschlands sei.

In Meldorf gehörten zu der Zeit schon 78% des Mittelstandes der NSDAP und 79% der SA an. Seit der Gründung vor sechs Jahren kam es zu gewalttätigen Übergriffen gegen politisch anders Denkende und vor allem gegen Kommunisten. Aus einer Berichterstattung der Landräte zwischen Juli 1932 und März 1933 wurde bekannt, dass die Täter in Norderdithmarschen fast ausschließlich der NSDAP angehörten.

Es gab aber auch noch Ausnahmen. Ein Dutzend SA- Männer, die einer Bauernversammlung im "Dithmarschen Hof" (heute Oldenwöhrden) als Zuhörer beiwohnten, wurden von etwa 50 Kommunisten aus Wesselburen, Wöhrden und Meldorf verdroschen.

Am 5.3.32 kam es zu über 100 Verhaftungen in Meldorf. Im Juli 32 ist es in Meldorf zwischen Hamburger Kommunisten und einheimischen Nationalsozialisten zu einer Schlägerei gekommen, bei der mit Ziegelsteinen geworfen und sogar scharf geschossen worden war. Am 20.7.32 wurde in Meldorf ein Redner einer SPD- Wahlkundgebung auf dem Weg zum Bahnhof von Nazis belästigt. Im November überfielen Nationalsozialisten einen früheren SA-Mann und verletzten ihn mit einem schweren Karabinerhaken, an dem ein zehnzölliger Nagel befestigt war, lebensgefährlich. Der Nachbarn des Opfers, der zwar die Schreie des Misshandelten hörte, legte sich ruhig wieder zu Bett, ohne ihm zu helfen oder wenigstens einen Arzt zu holen.6

Ein heiteres Bild zeichnet Karsten Schrum in seinem Aufsatz: „Nationalsozialismus.“ 1933 stellte er "eine Hitler weitgehend zustimmende Einwohnerschaft" vor, und als der Krieg nicht mehr zu gewinnen war: „wurde die Beerdigung des aus Farnewinkel stammenden, abgeschossenen Jagdfliegers Walter Oesau auf dem meldorfer Friedhof im Mai 1944 die letzte Veranstaltung, die ganz Meldorf auf die Beine brachte. Insgesamt bietet das Meldorf der NS- Zeit kein Bild, dass sich von dem anderer Kleinstädte Schleswig- Holsteins wesentlich unterscheidet.“ Dem ist zu widersprechen, doch das konnte der Autor zu der Zeit noch nicht wissen. Es hat in Meldorf mehr Naziverbrecher gegeben, als in anderen Städten. Dies mit Stand vom 23.12.2010.

„Die Machtübertragung ging in aller Ruhe vor sich,“ zitiert Jens Peter Biel Kreisleiter Matthiessen in seinem Aufsatz in der Zeitschrift Dithmarschen. Allein das unterscheidet diese Stadt bereits von hunderten anderer Städte, in denen Oppositionelle weiter protestierten, solange es noch möglich war, also bis zum 5.3. und 12.3.1933, den Tagen der letzten freien Wahlen.

Seine Aussage, Meldorf hätte „im Zeichen des hier anscheinend ohne Aggression geführten Wahlkampfes“ gestanden, ist mehr unglücklich formuliert, als der Versuch, die Sonderrolle der grauen Stadt am Meer zu kaschieren. Die Aggression marschierte und brüllte durch die Gassen des gemütlichen Städtchens und die Aggression der Nicht- Einverstandenen blieb unerkannt in den Wohnzimmern, in der Form in der Hosentasche geballter Fäuste.

Biel resümiert 1998, Nationalsozialismus spielte sich eben nicht nur auf den politischen Hauptaktionsbühnen des Reiches ab, sondern auch in Meldorf, der Kreisstadt von Süderdithmarschen. Das war vielleicht eine neuen Offenheit einiger Forscher kurz vor der Maueröffnung, war doch die weitläufig gelehrte Geschichte die von den unschuldigen und verfolgten Deutschen. Wo allerdings eine Verfolgung war, da war auch ein Grund für eine Verfolgung. Und der wird ab jetzt ans Tageslicht kommen, je mehr Täter sterben und eine Leere hinterlassen, die die Stadt frei macht, das „Vergessene“ in seinem ganzen Ausmaß wieder zu entdecken.

1 Der Begründer Georg Escherich (Ge- org Esch- erich) war am Kapp- Putsch beteiligt. Den größten Komplex in Schleswig- Holstein bildeten die rund 10000 Mitglieder zählende „Arbeitsgemeinschaft  Dithmarschen“, die sich in Heide etabliert hatte. An ihrer Spitze standen der Hofbesitzer Kahlke, Kreisvorsitzender der DNVP in Norderdithmarschen, der Maurermeister Böhme aus Meldorf, und der Dentist Kern aus Wesselburen. Wegen Waffenfunden erließ Reichskanzler Wirt am 24.6.1921 das Verbot der Orgesch. In Dithmarschen  war der direkte Übergang von den Orgesch- Verbänden, überden Stahlhelm zur NSDAP.

2 Er wurde nach 1939 zuerst Hauptkommissar in Witebsk, dann Gebietskommissar in Libau (1943) und war damit an den Kriegsverbrechen beteiligt.

3 Der Völkisch Soziale Block in dem die Deutschvölkische Freiheitspartei dominierte, wollte Antisemiten sammeln, die infolge des Verbotes ihrer Bünde und Vereine nach dem Rathenaumord ohne organisatorischen Rückhalt waren.

4 SA waren bewaffnete Gruppen der Nationalsozialisten.

5 Die Mitgliedsnummer spiegelte die Beitrittszeit wieder, je niedriger die Zahl, desto früher der Eintritt in die Partei.

6 Klaus Schwieger, Ende der weimarer Republik in Süderdithmarschen, Aufsatz 1970