Einleitung

1919 war der Krieg zwar aus, aber die Kriegswut noch nicht besänftigt. Antidemokratische Kräfte sehnten sich nach dem alten Kaiser oder beäugten misstrauisch die Sympathie der Arbeiterinnen und Arbeiter für die Sowjetunion und das Streben der russischen Arbeiter und Bäuerinnen nach Selbstbestimmung. Die Welt wurde geschüttelt von Wirtschaftskrisen in Industrie und Landwirtschaft, Währungsverfall, Hyperinflation, das Reich von Putschversuchen, während man zum Aufholen mit den Kolonialstaaten strebte. So wurde der Landtags- und Reichstagsabgeordnete Max Richter, ein Gewerkschaftssekre­tär  aus Neumünster, 1919 auf Druck der örtlichen Gewerkschaften als Landrat in Meldorf eingesetzt und von der dortigen Kreistagsmehrheit wieder verdrängt. Die Militärische Niederlage, die zum Vorzeitigen Abdanken des Kaisers führte, wurde von vielen nicht akzeptiert.

Die ersten Kontakte durch Lohse, dem späteren Gauleiterder NSDAP SLH zur Bayrischen Volkspartei: Die BVP war die stärkste Partei in Bayern, ihr rechter Rand zeigte deutliche Sympathien mit antirepublikanischen Bestrebungen und vertrat die Interessen von Besitzbürgertum und Teilen der Industrie."1 gab es bereits im Feb. 1920:  „Wenn auch Preußen heute noch als ausschlaggebender Faktor im Reiche angesehen wird, so besteht doch schon die Tatsache, dass Bayern die nationale Führung im Reiche übernommen hat.“ Da war der erste Weltkrieg noch nicht ein halbes Jahr vorüber.

Alle Parteien des Deutschen Reiches gab es auch in Dithmarschen. Von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) bis zur DDP2 liefen Mitglieder zu den Nazis über.

Eine davon war die DSP. Das war eine norddeutsche Variante der Nationalsozialisten. Im September 1920 gewannen die „Deutschsozialen“ den Lehrer Ruß , dem  die  Wesselner Lokalzeitung „Dithmarscher Bote“ gehörte. Der schrieb am 1.1.1918, als sich die  „Deutschsozialistische Arbeitsgemeinschaft“  gebildet hatte. Ihre Forderungen waren: 1. Freier Grund und Boden; 2. Ablösung des bisherigen römischen Rechts durch ein Deutsches Gemeinderecht; 3. Verstaatlichung unseres Geldwesens; 4. Freiheit von jeder Fremdherrschaft.

Das liest sich zunächst harmlos, war aber von Anfang an antisemitisch. Die Hauptpunkte sind aus Gottfried Feders Aufsätzen über die „Brechung der Zinsknechtschaft und der Zustand der Völker, die unter der Geld und Zinsherrschaft der alljüdischen Hochfinanz stehen.“ Dieser wurde 1933 von Hitler zum Staatssekretär im Reichsministerium für Wirtschaft ernannt. „.... zuerst müssen wir alle Deutsch werden bis auf die Knochen. Noch eins. Nicht zurückhaltend in der Judenfrage sein, sie ist heute Angelpunkt unseres völkischen Seins.“ Das war die offizielle Aussage dieser Partei. In Salzburg auf dem 1. Vertretertag  aller Nationalen Sozialisten, 7./8.8.1920, waren Deutsch- Österreicher, Tschechen, Polen, DSP und NSDAP anwesend.

In mehreren Landgemeinden  gab es kleine Gruppen, deren größte in Wesselburen mit 40 und Büsum mit 34 Mitgliedern waren. Mit einem Antrag auf dem ersten DSP- Gautag in Kiel, „eine gründliche Agitation in den Kreisen der Lehrer und Geistlichen des Landes in die Wege zu leiten“, machten sich die Dithmarscher bekannt. Die Auflösung geschah 1922, nachdem viele zur NSDAP übergetreten waren und die Reste in  die „Deutsche Werkgemeinschaft“ (DWG)3 umgewandelt wurden.

Eine der Parteien, die der späteren Nazipartei am nächsten kamen, war der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DSTB). Fünf Mitglieder verhinderten am  15.6.1920 den von Homosexualität handelnden Film „Anders als die Andern“, indem sie Stinkbomben  warfen. Nach Auflösung Anfang 1923 wurden die Mitglieder zum Eintritt in NSDAP aufgefordert. DSP und DSTB traten aus eigener Initiative über, obwohl Hitler den Norddeutschen Wirkungsbereich an den Führer der Deutschvölkischen  Partei DFP Gräfe übergab, einer Abspaltung  der DNVP.

Einige ganz frühe Mitglieder der NSDAP der ersten Stunde schon mal im Voraus: Hermann Bolzmann, Dorfschullehrer in Ketelsbüttel, hatte die Führung des Gaus Schleswig- Holstein des DFB 1926 und war Leiter des Bezirks Dithmarschen. Er stieß dann von der DNVP zum Nationalsozialistischen Freiheitsbund (NSFB), kandidierte an 3. Stelle für den Reichstag und trat sechs mal als Wahlredner auf, vornehmlich in Dithmarschen. Er leitete eine ausgeprägt starke Ortsgruppe in Meldorf und Bargenstedt.

Wilhelm Bruhn kandidierte 1924- 29 für die „Liste Vehrs“, war 1928 Geschäftsführer der „Wirtschaftspartei“, Geschäftsführer des Kreishandwerkerbundes und Vorstandsmitglied des Haus und Grundeigentümervereins in Heide. Er wurde 1929 Stadtrat, Nationalsozialist seit 1931, stand auf den Wahllisten 1933 an 4. Stelle für den Provinziallandtag und an 2. Stelle für den Kreistag und wurde nach der Machtübertragung kommissarischer Leiter der Polizeiverwaltung Heide. Er und Schuhmachermeister Heinrich Brandt aus Wesselburen waren 1929 auf der „Liste Wirtschaft“ federführend in der Unterstützung der Nazis.

Fritz Heesch vom Auhof in Meldorf kam von der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zur NSDAP ebenso wie der aus dem eiderstädtischen Friedrichstadt stammende Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht.4

Der Gefolgschaftsführer Hans Sierk, auch Bannführer (beides Hitlerjugend- Ränge) von West- Holstein kam aus Heide und war Mitglied der Loge »Marsentreue« von 1899. Die Mitglieder, die auch im kommunalen Leben der Stadt Heide eine große Rolle gespielt haben, wurden dadurch geehrt, dass heute noch mindestens vier Heider Straßen ihre Namen tragen.

Ludwig (Lühr) Oldigs (geb. 1907 in Wesselburen), Direktor der Dithmarscher Heimvolksschule in Lunden, hatte die NSDAP- Mitgliedsnummer 68614 und gehörte auch zu den Mitgliedern, die für Veranstaltungen jederzeit angefordert werden konnten. Er galt als Experte für Landwirtschaft, Jugend und Kultur.

Germania“ Grenzschutzvereinigung, gegründet von Dietrich Klagges und Aktivisten des DSTB auf einer Führertagung in Friedrichstadt, um das völkische Deutschtum in der Nordmark zu pflegen und die Jungen idealen Zielen zuzuführen, wurde 1925 zur Jugendorganisation der Flensburger NSDAP. Dietrich Klagges, seit 1918 Mittelschullehrer in Wilster, hatten sein antisemitischer Fanatismus und seine rigorose Ablehnung der politischen Ordnung zur NSDAP geführt. Er trat als Autor in vom Kampfverlag herausgegebenen NS- Briefen auf.  Im Winter 1925/26 zog er als Konrektor an die Mittelschule in Bennekendorf im Harz, war 1931 nationalsozialistischer Innenminister und da verantwortlich für die „Einbürgerung“ Adolf Hitlers und 1933 Ministerpräsident von Braunschweig. Von 1933 bis 45 war er Mitglied des Reichstags. 1946 von einem Militärgericht in Bielefeld wegen Verbrechen in seiner Funktion als SS- Gruppenführer  und 1950 wegen der von ihm als Braunschweiger  Staatsminister und Ministerpräsident begangenen Verbrechen verurteilt.

Nicht nur Parteien traten zur  NSDAP über, sondern auch viele Vereine bekannten sich früh und ohne Not zu NS- Vereinen oder deren Mitglieder spielten eine große Rolle beim Aufbau. Der „Stahlhelm Westküste“ war der radikale Flügel des schleswig- holsteinischen Stahlhelm5, wie z.B. in Heide 1925. Alle waren bewaffnet. Ein Teil seiner Mitglieder ging schon damals zur NSDAP über.

Auch viele Vertreter der ev. luth. Kirche waren konservativ und national eingestellt, was generell zur Verquickung von Nationalismus und christlicher Botschaft führte. Als Beispiel für einen anfänglich linientreuen Nationalsozialisten kann der Probst Johann Martin Bünz gelten.  Am 1.6.1933 rief der Probst von Süderdithmarschen zu einer Kundgebung der "Deutschen Christen" in die "Erheiterung". Noch 1931 hatte der Probst den Antisemitismus der NSDAP als Trennstrich gesehen6. Nun versuchte man, sich durchzulavieren. Für die Wahl zur Landessynode wurden Bünz, Landwirt Beeck und Kummerfeld (beide NSDAP)  gewählt. Später sind er und die Meldorfer Pastoren Jacobsen und Doose in das "NSKK"7 eingetreten,- traten aber bald wieder aus.

Der NS- Kulturbund Dithmarschen. 1906 agitierte der „Heinetöter“ Adolf Bartels mit seiner Schrift gegen: „Heinrich Heine8, auch ein Denkmal“. Bartels war unter anderem Mitglied des Dithmarscher Vereins für Landeskunde. 5 Jahre später, 1927 erhielt er sogar von seiner Geburtsstadt Wesselburen das Ehrenbürgerrecht zugesprochen. Er stellte die Kontakte zwischen der Schleswig- Holstein Bewegung (SHB)9 und NS- Kulturpropagandisten im Reich her. Von ihnen wurde er am 14.11.1931 als derjenige begeistert gefeiert, der die Scheidung der Geister nach Rasse und Blut in die Literaturgeschichte eingeführt habe. ( nach A. Bartels, Mein Leben, 1932) Ein Roman, „Der Obervollmacht“, endet mit dem Auftreten und der Rede Hitlers am 16.10.1928 in Heide. Der Schriftsteller und sogenannte Literaturkritiker wurde 1922 zu seinem 60. Geburtstag in der Wesselburener Stadtverordnetenversammlung gewürdigt: „Wir Schleswig- Holsteiner (SHB) begrüßen unseren Landsmann, wollen uns zu ihm bekennen, ihn achten und ehren als Geschichtsschreiber  unseres Schrifttums. Sie, die Stadt Wesselburen, würdigt damit seine Verdienste um die Erhaltung echten Deutschen Volkstums, sowie seine mit ernstem Forschersinn mit angeborener Urteilskraft und in strenger Sachlichkeit geübte Kritik am Deutschen Schrifttum, sie ehrt in ihm den Dichter und den schlichten Deutschen Christen und dankt ihm seine hervorragende Heimattreue.“

Initiiert war diese Ehrung von dem zeitweilig auch in der Landesversammlung des SHB tätigen Mittelschuldirektor und Ratmann Detlev Kölln, der 1932 den „Adolf Bartels Bund“ in Wesselburen gründete und als dessen Bundesvorsitzender fungierte. Dieser nahm nur reinblütige Deutsche Männer und Frauen als Mitglieder auf, die gegen „fremdrassiges in Sonderheit jüdisches Geistesleben auf deutschem Boden kämpften“.

Eine weitere Figur war der 1863 in Barlt geborenen Gustav Frenssen, dessen Heimatromane zu den damaligen Bestsellern gehörten. Frenssen war engagierter Anhänger nationalsozialistischer Ideologien und vertrat die nationalsozialistische Euthanasie. Noch in der Lebenskunde (erschienen 1942) fordert er Euthanasie für Behinderte, Arbeitsunwillige, Herumstreicher, Volksfeinde, Kriminelle und andere, die er als krank einstufte (S. 50-55), verbreitete seine radikalen nationalsozialistischen Anschauungen ebenfalls im dritten Band seiner Grübeleien, der unter dem Titel Vorland 1937 erschien (S. 49-70). Ein „Frenssen- Weg“ existiert noch in mehreren Orten. In Meldorf wohnte er am Galgenberg.

1Die BVP war die stärkste Partei in Bayern, ihr rechter Rand zeigte deutliche Sympathien mit antirepublikanischen Bestrebungen und vertrat die Interessen von Besitzbürgertum und Teilen der Industrie.

2 Die Deutsche Demokratische Partei (kurz DDP) war eine linksliberale Partei der Weimarer Republik, die an fast allen Reichsregierungen bis 1932 beteiligt war.

3 gegründet von Otto Dickel und in Kiel geleitet von Hespel,  Vortragsreisen gab es zweimal in Wesselburen und einmal in Büsum. 2. Vorsitzender der DWG übrigens, Julius Streicher, Gründer, Eigentümer und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, gehörte zu den 24 im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof  in Nürnberg Angeklagten und wurde 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

4Horace Greeley Hjalmar Schacht (* 22. Januar 1877 in Tingleff (dänisch: Tinglev), Nordschleswig; † 3. Juni 1970 in München) war ein deutscher Politiker, Bankier, von 1923 bis 1930 und 1933 bis 1939 Reichsbankpräsident und von 1934 bis 1937 Reichswirtschaftsminister. Im November 1918 gehörte er zu den Mitbegründern der (links-)liberalen Deutschen Demokratischen Partei, aus der er im Mai 1926 austrat. Er war zwar erst 1937 NSDAP- Mitglied, wirkte aber ab 1930 für sie. Schacht gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof angeklagten Führungspersonen der Zeit des Nationalsozialismus und wurde am 1. Oktober 1946 in allen Anklagepunkten freigesprochen.

5Der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ war ein paramilitärisch organisierter Wehrverband zur Zeit der Weimarer Republik, der 1918 gegründet worden war. Ehemaligen Frontsoldaten jüdischen Glaubens wurde die Mitgliedschaft verwehrt. Es bezeichneten die Stahlhelm-Mitglieder gegen Ende der Weimarer Republik sich selbst in Abgrenzung zur NSDAP auch als die „deutschen Faschisten“.

6Willy Schulz "Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten in Meldorf" 1986

7Nationalsozialistisches Kraftfahrer Korps; eine Unterabteilung der SA.

8Christian Johann Heinrich Heine (* 13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf; † 17. Februar 1856 in Paris) war einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts. Später arbeitete  an Karl Marx’ Zeitschriften Vorwärts! und Deutsch-Französische Jahrbücher mit.

9 Bund aus 150 Ortsgruppen mit insgesamt 33000 Mitgliedern. An der Spitze der regionalen Gruppen standen zumeist Pastoren, Studienräte, Lehrer, Rechtsanwälte oder Kaufleute.