Weinhändler Jansen, Frau und Sohn

Jan Klabunde

Friedrich Jansen und Ferdinand Diekmann

Der folgende Beitrag beleuchtet zwei Lebensläufe während der Zeit des Nationalsozialismus in Meldorf Das eine ist das Schicksal des Weinhändlers Friedrich Jansen (5.9. 1883-15.5.1945), der sich politisch nicht aktiv betätigte und zu den angesehenen Bürgern der Stadt gehörte, das andere das des Bürgermeisters Ferdinand Diekmann, der schon früh der NSDAP beigetreten und Träger des Goldenen Parteiabzeichens war. Am 11. Mai 1945, zwei Tage nachdem die ersten britischen Truppen Meldorf erreicht hatten und drei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, versuchte eine Delegation, zu der auch Jansen gehörte, den Meldorfer ürgermeister zum Rücktritt zu bewegen. Das kurze Gespräch endete tragisch.

Friedrich Jansen

Friedrich Jansen wurde am 5.9. 1883 in Krempel bei Lunden geboren (Abb. 1 u. 2). Durch seine Tätigkeit als Kellermeister hatte er sich die Eignung zur ührung eines Wein- und Spirituosengeschäftes erworben. 1909 kaufte er die Weinhandlung von Waldemar Oldenburg am Meldorfer Südermarkt. Der 1. Juli 1909 war das Gründungsdatum der „Weingroßhandlung (und später Destillation) Friedrich Jansen“. Dank seiner Fachkenntnisse und seiner geschäftlichen Umsicht wuchs der Kundenstamm über Dithmarschen hinaus nach Eiderstedt, Rendsburg und Steinburg - und damit auch die Hochachtung für Jansen und seine Familie. So war Jansen in Meldorf ein angesehener Bürger und Kaufmann. Kommunalpolitisch ist Friedrich Jansen in der Zeit der Weimarer Republik nicht aktiv gewesen. Jedenfalls ist er bei den Stadtverordneten- und Kreistagswahlen von 1919 bis 1933 weder als Kandidat noch als Unterstützer einer Partei in Erscheinung getreten. Der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung wählte ihn nach den Wahlen 1929 durch Zuruf (also einstimmig) in den Vorstand der Meldorfer Stadtsparkasse. Dem Hauptausschuss gehörten damals zwei Vertreter der bürgerlichen Liste „Wirtschaft“, je ein Vertreter der Liste „Beamte/Angestellte“ und des Rentnerbundes neben zwei bürgerlichen Mitgliedern mit beratender Stimme an. Die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) war nicht vertreten. Nach den Neuwahlen vom 12. 3.1933, die der NSDAP (Nationalsozialistische Partei Deutschlands) mit 50,9 % der Stimmen acht von zwölf Mandaten einbrachten (drei entfielen auf die Liste „Schwarz-Weiß-Rot“ aus DNVP (Deutschnationaler Volkspartei) und Stahlhelm, eines auf die SPD, die dieses Mandat nicht mehr annahm), wurde Jansen nicht wiedergewählt, aber vom damaligen Bürgermeister Schmedtje erneut in den Vorstand berufen. Allerdings musste er 1934 einen Eid auf Adolf Hitler ablegen und 1935 eine Erklärung über Logenmitgliedschaften abgeben. Nach dieser Erklärung gehörte er von 1910 bis 1930 der Loge Ditmarsia im Grade eines Meisters an. Mitglied der NSDAP wurde er jedoch nicht.
Als 1938 für ein verstorbenes Mitglied des Vorstandes der Stadtsparkasse ein Nachfolger gesucht wurde, berief Bürgermeister Schmedtje entgegen dem Vorschlag des Sparkassenverbandes am 30.6. 1938 den Ziegeleibesitzer Georg Herwig. Herwig war „Alter Parteigenosse“ (Parteimitglied der NSDAP seit 1. 3. 1929) und Hauptsturmführer (entsprechend dem militärischen Rang eines Hauptmannes) des NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) Motorsturm 2/M15. Sieben Tage später sieht sich Jansen „leider gezwungen“, seine Vorstandstätigkeit aufzugeben, und erklärt Bürgermeister Schmedtje seinen Rücktritt.
Am 16. 8. 1938 wird Jansen wegen angeblicher „fortgesetzter Steuerhinterziehung“ vom Finanzamt Meldorf durch „Unterwerfungsverhandlung“ mit 15.000 Reichsmark Geldstrafe und Veröffentlichung dieses Urteiles auf seine Kosten bestraft. Aus den Akten ist der Zusammenhang zwischen der Berufung Herwigs, Jansens Rücktritt und dessen Bestrafung nicht ersichtlich. Auch das Zustande kommen der Bestrafung ist nicht dokumentiert. Zwei seiner Söhne, Ernst und Hans Jansen, hatten die Berufe des Küfers und Destillateurs erlernt und bereits Berufserfahrung in Schwerin und Hamburg gesammelt, sodass sie 1939 mit in die Firma eintraten.

Ferdinand Diekmann

1938 endete die Amtszeit des Bürgermeisters Schmedtje, und am 28. 11. 1938 wurde als Nachfolger Ferdinand Diekmann in sein Amt eingeührt. Der Buchdruckermeister Ferdinand Diekmann (geboren am 8.2. 1897 in Wesselburenerkoog) war als Weltkriegsteilnehmer dekoriert worden und Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP (Beitrittsdatum 11. 6. 1926, Nummer 38.044). Seine völkische Karriere führte ihn von der DNVP (Deutsch Nationale Volkspartei) 1919 über den Völkisch- sozialen- Block - einem Sammelbecken für völkisch- antisemitische Gruppierungen-  und den Stahlhelm zur NSDAP. Diekmann lebte in Albersdorf, einem der ältesten und stärksten Zentren“ der NSDAP, und war dort als „besonderer Agitator“ bekannt. Dabei hatte Diekmann durchaus ein gutes Ansehen im bürgerlichen Lager. Er kandidierte 1925 auf der bürgerlichen Mehrheitsliste „Wirtschaft in Not“ für den Süderdithmarscher Kreistag, wenn auch auf einem aussichtslosen Listenplatz. 1929 war er Vorsitzender des Albersdorfer Handwerkerbundes und kandidierte bei den Gemeindewahlen in Albersdorf auf der bürgerlichen Einheitsliste, was zu heftigen Auseinandersetzungen in der NSDAP führte, die als „Fall Grantz“ in die Geschichte eingegangen sind. Um den Albersdorfer Tierarzt und Brigadeührer (entsprechend dem Rang eines Generalmajors) der SA (Sturmabteilung) Dr. Emil Grantz sammelte sich eine innerparteiliche Opposition, die die NSDAP in Dithmarschen spaltete und zum Austritt vieler Mitglieder führte. Dieser Widerstand, der sich insbesondere gegen Gauleiter Hinrich Lohse richtete, konnte erst im Herbst 1930 gebrochen werden. Diekmann erwies sich dabei als absolut treuer Gefolgsmann Lohses, den er in dieser Auseinandersetzung unterstützte. Dieses sollte ihm nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 nicht nur Partei-, sondern auch staatliche Ämter einbringen. Seit 1934 war er Ortsgruppenleiter in Albersdorf und Kreisausbildungsleiter in Süderdithmarschen. „Diekmann ist einer der besten Ausbildungsleiter“ heißt es in einer Beurteilung des Gauausbildungsleiters. Zugleich spielte er eine führende Rolle in der Dithmarscher SA, in der er den Rang eines SA-Standartenfuhrers (1942, entspricht dem Rang eines Oberst) erhielt. 1933 wurde er Amtsvorsteher der Kirchspielslandgemeinde Albersdorf und Kreisausschussmitglied, ab 1938 schließlich hauptamtlicher Bürgermeister von Meldorf und ab 1939 kommissarischer Kreisleiter der NSDAP. Dieses Amt behielt er bis zum März 1945. 1942 schlug Gauleiter Lohse ihn sogar für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse vor: „Der Parteigenosse Diekmann, Bürgermeister der Stadt Meldorf, führt seit Kriegsbeginn ebenfalls in vorbildlicher Weise den Kreis Süderdithmarschen. Seiner Arbeit ist es im wesentlichen zu verdanken, daß alle an die Partei herangetragen Fragen in vorbildlicher Weise und ohne Schwierigkeiten gelöst werden konnten.“ In den Augenzeugenberichten aus Meldorf und Süderdithmarschen erscheint er als überzeugter Nationalsozialist, aber durchaus widersprüchlich:
„Ferdinand war in seiner Amtszeit bestimmt kein Verbrecher und niemand, auch die Nichtnationalsozialisten, hätten ihm eine böse Tat, und schon gar nicht ein Verbrechen, zugetraut.“ (Meldorfer Hausfreund MH 10. 5. 1955) „Er war für seine Intoleranz gegenüber politisch Andersdenkenden bekannt.“ (Hans Hornung, in: Dithmarscher Rundschau/DR 8. 5. 1985) „Er wird von alten Meldorfern, die ihn kannten, als ,ganz unbeliebter, scharfer ‘Nazibürgermeister’ beschrieben, .. . Bürgermeister Diekmann war ein sogenannter ,zweihundertprozentiger Nazi’, der noch wenige Tage vor dem Eintreffen der Engländer mit aller Gewalt eine Werwolftruppe zusammenstellen wollte.“ (Otto Rumpf, in: DR 11. 5.1985) „Der ,Kriegsbürgermeister’, Soldatenfrauen- und Witwentröster während der Kriegsjahre ... Der kleine ,große Hitler’ mit Namen Ferdinand Diekmann, vor seiner politischen Laufbahn in Meldorf ein Albersdorfer Pleitemann.“ (Leserbrief in: DR 10. 5. 1985) „Ich war auch Zeuge, als mein (inzwischen verstorbener) Vater auf offener Straße geohrfeigt wurde, weil er die Hakenkreuzfahne nicht gegrüsst hatte und [Zeuge] wie Dieckmann, Fremdarbeiter’ ohne Anlaß mit der Aktentasche auf den Kopf schlug.“ (Leserbrief, in: DR 5. 10. 1985)

Abbildung 5: Grabstein für Wladislaw Urbanski und Magameb Chadarjew (Foto: Jochen Sievers)
Am 11. Mai 1945, zwei Tage nachdem die ersten britischen Truppen Meldorf erreicht hatten und drei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, die die Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutete, traf sich bei Friedrich Jansen eine Gruppe von Männern, um zu beratschlagen, wie in Meldorf ein Neuanfang begonnen werden könnte. Sie waren auch von der Sorge getrieben, dass die Nationalsozialisten den Briten noch bewaffneten Widerstand leisten könnten. Gerüchte über Werwolf- Einheiten und eilig bewaffnete Mitglieder der HJ (Hitler-Jugend) hielten sich hartnäckig und entbehrten wohl nicht jeder Grundlage. „Es war keinesfalls jedwede nationalsozialistische Regung tot“, schrieb der Meldorfer Hausfreund 1955. Die Versammlung beschloss, der britischen Militärverwaltung, die am nächsten Tage in der Stadt erwartet wurde, den Rechtsanwalt Dr. Nagel als neuen Bürgermeister vorzuschlagen. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt Ferdinand Diekmann noch im Amt (und im Rathaus). So wurde ebenfalls beschlossen, eine Delegation in das Rathaus (Abb. 6) zu entsenden, um Diekmann zu bitten oder aufzufordern, seinen Posten zur Verfügung zu stellen. Die Berichte über diese Gruppe und die Delegation unterscheiden sich dabei nicht unwesentlich. Die erste Veröffentlichung in der KPD-Zeitung „Norddeutsches Echo“ vom 5.10. 1946 liest sich so: „Die Nazis versuchten, die Macht dem Bürgertum wieder zuzuspielen, wahrscheinlich unter Führung des damaligen Stadtkommandanten. Vor mir läuft ein spannender Film ab. Ich gehe mit den vier Meldorfer Arbeitervertretern in jene denkwürdige Sitzung, kurz vor dem Zusammenbruch im Hause von Herrn Jansen. ,Meine Herren, dies ist die vorläufige Stadtvertretung’, sagt der Sprecher ehemaliger Offiziere und des Besitzbürgerturns.“
Der „Meldorfer Hausfreund“ vom 10. 5.1955 schrieb: „Am 11. Mai, 17 Uhr, versammelten sich die also Gewillten, sich für den Wiederaufbau einzusetzen, ein Dutzend Männer im Hause des Weinhändlers Friedrich Jansen, um zu beraten, wie die neue Stadtverwaltung in Gang zu bringen sei ... Die bei Weinhändler Jansen versammelten Meldorfer Bürger fassten deshalb den Beschluß, eine Abordnung zu Bürgermeister Diekmann zu schicken und ihn in höflicher Form zu bitten, seinen Posten niederzulegen ... Die Versammelten wählten daraufhin die Herren Friedrich Jansen, Max Nommensen und Friedrich Schröder, die mit diesem Auftrag ins Rathaus zu Ferdinand Diekmann gingen.“ Dieser Darstellung folgt Hans Hornung in seinem Artikel (DR 8. 5. 1985), spricht allerdings von einer „Bürgerdelegation“. Daraufhin meldet sich Heinrich Baumann, der frühere Verleger des „Meldorfer Hausfreundes“ in einem Leserbrief (DR 18. 5. 1985) zu Wort und schreibt, dass Jansen sechs Nazigegner zu sich eingeladen hatte, Jansen selber „Contra- Nazi“ gewesen sei und dass der Delegation neben Jansen und Schröder nur er selber angehört habe. Das erscheint eher unwahrscheinlich, da keiner der anderen Beteiligten ihn als Teilnehmer der Delegation erwähnt. 1992 schreibt Detlef Siegfried in seinem Buch „Zwischen Einheitspartei und ,Bruderkampf’“ ausührlich über die Meldorfer Ereignisse: „In der Kreisstadt hatten sich um den Zeitpunkt der Kapitulation zwei Kreise aus Arbeiterschaft und Bürgertum getroffen, die eine sinnlose Verteidigung verhindern und durch die Absetzung des Bürgermeisters eine Neuordnung in die Wege leiten wollten. Neben dem in den letzten Kriegswochen gebildeten ,Jansen’schen Block’ aus SPD- und KPD-Mitgliedern hatte sich kurz nach dem Einzug der Briten eine Gruppe um den liberalen Hotelier Wilhelm Hartnack an die Sammlung des bürgerlichen Sektors gemacht ... Nach der Besetzung der Stadt fanden sich am 11. Mai um 17 Uhr etwa ein Dutzend Männer aus beiden Lagern bei dem Sozialdemokraten Friedrich Jansen zusammen, um über die künftige personelle Besetzung der Verwaltungsspitzen zu beraten.“ Darin folgen ihm Detlef Korte (DR 2.5. 1995), der in der Versammlung „auch SPD- und KPD- Mitglieder“ sieht, und Holger Piening (DLZ 6. 5. 1995), der von vielen ehemaligen SPD- und KPD- Mitgliedern berichtet. Er bekräftigt dies später in ausührlicheren Darstellungen. Doch aus den Akten eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Itzehoe, auf das später noch eingegangen wird, lässt sich schließen, dass die Teilnehmer aus allen politischen Lagern kamen.
So betonen mehrere der damals Beteiligten, dass sie sich als die neue Meldorfer Stadtvertretung verstanden haben. Neben Friedrich Jansen, Friedrich Schröder (KPD), Dr. Ernst Nagel und Max Nommensen (später FDP, Freie Demokratische Partei) werden noch der Kaufmann Ernst Reddig (später CDU, Christlich Demokratische Union), der Gastwirt Friedrich Osnabrügge (SPD) und Paul Kock (bis 1933 DNVP, später ebenfalls CDU) namentlich erwähnt, also nur zwei Vertreter von SPD und KPD. Nach dem Artikel im „Norddeutschen Echo“ sollen es insgesamt vier Arbeitervertreter gewesen sein. Deshalb lässt sich die Interpretation des „Jansen’schen Blockes“ als Arbeitervertretung ebenso wenig bestätigen wie die Vermutung, Jansen sei Sozialdemokrat gewesen. In der Weimarer Republik war er es sicher nicht, von den Beteiligten wird er in dem Ermittlungsverfahren als unpolitisch beschrieben und auch seine Verwandten schätzen ihn eher konservativ ein. Bemerkenswert ist aber, dass auch Kommunisten zu diesem Treffen eingeladen waren, aber es war wohl in Meldorf schon bekannt geworden, dass die KPD bereits die Verbindung zu den britischen Truppen hergestellt hatte. Meine Darstellung des Geschehens stützt sich hauptsächlich auf das schon erwähnte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Itzehoe von 1955. Danach erklärte Friedrich Jansen sich bereit, zum Rathaus zu gehen und mit Diekmann zu reden, da sie miteinander bekannt waren und sich duzten. Er wurde von Schröder, Nommensen und Reddig begleitet.

Die Delegation begab sich zum Rathaus. Der erste Versuch verlief im Sande. Bürgermeister Diekmann war nicht in seinem Arbeitszimmer. Also gingen die Männer zu Diekmanns Privatwohnung. Auch-dort konnten sie den Gesuchten nicht finden. Deshalb entschlossen sie sich, es noch einmal im Rathaus zu versuchen. Nun hatten sie mehr Erfolg. Sie trafen Diekmann im Garten hinter dem Rathaus vor dem Luftschutzkeller an. Jansen begann die Verhandlungen. Nach den Akten sagte er in etwa: „Du Ferdinand, hast Du mal einen Augenblick Zeit?“ Ein anderer Teilnehmer erinnerte sich an die plattdeutsche Ansprache: „Ferdinand, wie much mol mit di snacken.“ Der Bürgermeister nahm sich die Zeit, so dass Jansen weiter ausholen konnte: „Hör mal Ferdinand, du weißt ja selber, wie die Sachlage ist und wir sind beauftragt, dich zu bitten, dass du deinen Bürgermeisterposten niederlegst.“ Der Angesprochene soll noch „Ihr Spitzbuben, ihr Verräter!“ gerufen haben, dann zückte er eine Pistole und streckte Jansen mit zwei bis drei Schüssen in den Bauch und in den Oberschenkel nieder. Die drei übrigen Mitglieder der Delegation ergriffen die Flucht und informierten die entsetzten Mitstreiter in Jansens Wohnung. Vom Hausmeister wurden die bewaffneten Beamten der Stadtwache, die ebenfalls im Rathaus untergebracht war, zu Hilfe gerufen. Wachührer Heinrich Kammrath, seit 1940 in Meldorf und altes SPD- Mitglied, griff sofort zu seinem Karabiner und rannte in den Garten. Dort fand er nicht nur den sterbenden Jansen vor, der noch mit letzter Kraft versuchte, sich fortzuschleppen, sondern auch den Bürgermeister, der sogleich das Feuer auf ihn eröffnete. Der Schuss verfehlte knapp den Kopf des Wachührers, der daraufhin seinerseits das Feuer eröffnete und Diekmann mit einem Kopfschuss tötete. 22 führende Meldorfer Nationalsozialisten wurden daraufhin umgehend verhaftet und einige Tage später 600 englische Soldaten in Meldorf einquartiert. Friedrich Jansen erlag seinen schweren Verletzungen am 15. Mai 1945 im Meldorfer Krankenhaus. Über den weiteren Verlauf des Geschehens berichtet eine Eintragung aus der Meldorfer Kirchenchronik. Darin steht, dass Bürgermeister Diekmann „sang und klanglos wie ein Hund beerdigt wird“. Eine große Trauergemeinde gab dagegen dem letzten Opfer des Faschismus in Meldorf am 19. Mai die letzte Ehre. Hans Jansen ührte die „Weinhandlung Friedrich Jansen“ bis 1978 weiter. An ihrer Stelle steht heute der Neubau der Volks- und Raiffeisenbank.

Andere Beteiligte nach 1945 

Heinrich Kammrath gehörte der ersten Meldorfer Stadtvertretung bis 1947 an. Er vertrat die SPD im Haupt-, Verbraucher- und Kleingartenausschuss. Hier war er auch für die Kleingärten zuständig, die auf dem Auhof des früheren NSDAP-Kreisleiters Matthiessen eingerichtet worden waren. Nach den Wahlen 1947, bei der die CDU 8, die SPD 6 und die FDP 3 Mandate erhielten, wurde er in den Vorstand der Meldorfer Stadtsparkasse gewählt. Diesen Posten behielt er bis zum Dezember 1948. Im Mai 1945 wurde Dr. Nagel von den Briten als Bürgermeister eingesetzt. Paul Kock war von November 1948 bis April 1950 ehrenamtlicher Bürgermeister. Friedrich Schröder wurde 1946 Kreisvorsitzender der KPD in Süderdithmarschen. Der ehemalige NSKK-Hauptsturmührer Georg Herwig wurde 1955 wieder in den Vorstand der Meldorfer Stadtsparkasse gewählt. Friedrich Baumann, der nach eigenen Angaben schon am 16.6.1928 auf der Gründungsversammlung der NSDAP zugegen war, da diese bei ihm „ein Zeitungsprojekt zu drucken beabsichtigte“ (MH 23. 6. 1964), gründete 1949 seinen „Meldorfer Hausfreund“, in dem er am 10.5.1955 die Geschichte des Meldorfer Rathausmordes erstmalig in Meldorf veröffentlichte. Fünf Tage nach diesem Artikel ging bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe ein anonymes Schreiben ein, das mit „Mehrerer [Fehler im Original] Einwohner Süderdithmarschens!“ unterzeichnet war. Hierin stellen die Verfasser - nicht ungeschickt in Fragen verpackt - das Geschehen auf den Kopf. Nach ihrer Darstellung muss sich Diekmann bedroht gefühlt haben, da die Delegation ihn außerhalb der Dienstzeit und unter Teilnahme des Kommunisten Schröder aufsuchte. Diekmann habe in Notwehr geschossen und sei von Kammrath erschossen worden, obwohl dieser ihn nicht hätte töten müssen. So wird der Eindruck erweckt, dass Diekmann absichtlich oder sogar durch einen Komplott ermordet wurde. Die „mehreren Einwohner Süderdithmarschens“ beziehen sich dann auf die Verbrechen der Nazis: „Nach 1945 sind unzählige Personen wegen kleiner Prügeleien (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden.“Dann fragen sie, ob die Justiz jetzt nach zehn Jahren soweit unabhängig sei, dass in diesem Falle „einmal eine Untersuchung“ eingeleitet werde. Dieser anonyme Wunsch ist der Staatsanwaltschaft Itzehoe Befehl, die „Er­mittlungssache zum Nachteile Diekmann“ wird am 22.5.1955 eröffnet. Zu einem Verfahren gegen Heinrich Kamrnrath kam es allerdings nicht. Die Staatsanwaltschaft kam nach der Befragung diverser Zeugen eindeutig zu dem Schluss, dass Kammrath in Notwehr gehandelt hatte, und legte damit den Vorgang zu den Akten. Auf die Idee, eine Untersuchung gegen die anonymen Briefschreiber einzuleiten, kamen die Anwälte allerdings nicht.

Die Diekmann-Kontroverse

Die nationalsozialistische Sichtweise auf die Geschehnisse am Meldorfer Rathaus wird 2006 noch einmal durch das Buch „Kriegsverbrechen der alliierten Siegermächte“ von Pit Pietersen deutlich. „Pit Pietersen wurde am 22. März 1936 in der Otto- Streibel- Straße in Albersdorf/ Holstein unweit des Kaiser- Wilhelm- Kanals geboren“, heißt es in seinem Selbstporträt. Über Diekmann schreibt er: „Diekmann war eine große Persönlichkeit, persönlicher Freund von Adolf Hitler, einflussreich in der Kreis- sowie in der örtlichen Gemeindepolitik ... 1939 wurde Diekmann von semem Parteifreund Matthiesen auf den Stuhl des Bürgermeisters der Stadt Meldorf gesetzt. Ab 1941 war er kommissarischer Kreisleiter der NSDAP in Süderdithmarschen. Nach dem Einmarsch durch die Engländer am 10. Mai 1945 gruppierten sich unter der Leitung des Weinhändlers Jansen ehemalige Sozialdemo­kraten, Kommunisten sowie andere Oppositionelle. Diek­mann war nicht bereit, seinen Stuhl im Rathaus zu räumen, um Platz für seinen Nachfolger Dr. Ernst Nagel zu machen. Er flüchtete in den Keller und wurde von Wachleiter Kammrath erschossen. Später sollte dieser Vorfall als ,Meldorfer Rathausmord’ in die Geschichte eingehen.

in weiteres Nachspiel

Ein weiteres Nachspiel gab es nach der zweiten Veröffentli­chung von Hans Hornung in der „Dithmarscher Rund­schau“ vom 8.5.1985. In dem Sitzungssaal der Kirchspiel­slandgemeinde Albersdorf hängt ein Porträt von Ferdinand Diekmann, das der seinerzeitige Amtsvorsteher Heinrich Mumm aus einem Keglerfoto heraus vergrößert hatte (Mumm: „Ich war glücklich“). Bereits im April 1985 hatte sich Gerhard Wiechmann aus Meldorf bei der Amtsverwaltung gemeldet und darauf hingewiesen, dass mit diesem Bild ein Mörder geehrt werde. Da er von der Verwaltung keine Antwort bekam, wandte sich Wiechmann an die Albersdorfer SPD, und der Fall wurde öffentlich. Das Amt erhielt auf Nachfrage von der Staatsanwaltschaft die Antwort, dass Diekmann Jansen „ohne triftigen Grund tödlich verletzt hat“. Aber das Ergebnis der Ermittlungen lasse „keine sicheren Anhaltspunkte daür erkennen, daß Dieckmann zuvor unter den objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines Mordes gehandelt hat“.
Die Albersdorfer SPD griff Wiechmanns Forderung auf, das Porträt von Diekmann aus dem Saal zu entfernen oder zumindest zu kommentieren. Dies wurde von der CDU-Mehrheit aber strikt abgelehnt. Die Auseinandersetzung zog sich über Monate hin und wurde immer schärfer. „Es wurden diesmal sogar Beschimpfungen und Beleidi­gungen ausgesprochen. So sprach die Albersdorfer CDU im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten von ,ihrem Mann aus Meldorf’. Herr Günther von der Albersdorfer FDP meinte, er sei froh, dass das Amt der Erpressung des Meldorfer Bürgers nicht nachge­geben habe“, berichtete der SPD- Vertreter Heinz Evers in einem Brief. Auch fand der damalige Bürgermeister Man­fred Trube einen Juden, den Diekmann vor 1939 in Albersdorf beschützt haben soll. „Das Gerücht ist m. E. von interessierten Albersdorfern in Umlauf gebracht worden“, erinnert sich Gerhard Wiechmann. Der Antrag der SPD wurde schließlich abgelehnt, da es sich bei den Bildern nach Mehrheitsmeinung nur um eine Dokumentation, nicht um eine Ehrung handele. Das Porträt von Ferdinand Diekmann hing noch bis zum 20. September 2009 unkommentiert an seinem Platz. Zum Beschluss der Albersdorfer Gemeindevertretung, Adolf Hitler rückwirkend die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen, wurde es mit einer Kommentierung versehen, da Diekmann seinerzeit diese Ehrenbürgerschaft veranlasst hatte.

Der lange Kampf um eine Ehrung Friedrich Jansens

Bereits in der ersten Hälfte der 1980er Jahre hatte sich Reimer Jansen an die Stadt gewandt mit der Bitte, zur Erinnerung an seinen Großvater eine Straße in Meldorf nach Friedrich Jansen zu benennen. Bürgermeister Jacobsen zeigte sich interessiert, verwies aber darauf, dass die Stadt eine Umbenennung einer Straße ablehne. Bei einer Neubenennung würde sein Vorschlag aber Berücksichtigung finden, wenn es in das „Ensemble“ der Straßenbenennungen eines Neubaugebietes passe. Reimer Jansen fragte sieben Jahre später nach und unterbreitete den Vorschlag, am Meldorfer Rathaus eine Gedenktafel anzubringen, die das Schicksal seines Großvaters dokumentiere. Bürgermeister Thiessen antwortete, dass der Hauptausschuss eine Tafel ablehne, aber die Straßenbenennung weiter in Erinnerung sei. Eine neuerliche Anfrage im Jahre 2005 ührte schließlich dazu, dass Reimer Jansens Vorschlag von bürgermeister Rieger aufgegriffen wurde und im Meldorfer Neubaugebiet Delfen II eine Straße nach Friedrich Jansen benannt werden soll. Am 8. August 2008 wurde zur Erinnerung an Friedrich Jansen am Meldorfer Südermarkt ein Stolperstein verlegt.