Abbildung 1: Grabstein „Den Toten des Ostens“auf dem Friedhof in Meldorf (Foto: Jochen Sievers). Die Namen werden weiter verwendet, Ostpreußen gehört heute zum Teil zu Polen und den russischen Staaten; Danzig heißt heute Gdansk; Westpreußen liegt heute in Polen; Posenheißt heute Poznan; Pommern ist heute zum Teil deutsch und zum Teil polnisch; Schlesien gehört hauptsächlich zu Polen; Sudetenland wurde 1945 der Tschechoslowakei wieder zurückgegeben und gehört heute zu Tschechien; Baltikum sind die unabhängigen Staaten Estland, Litauen und Lettland.

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Meldorf

Das Thema der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen ist noch unbekannt. Die Gemüsefabrik wurde 1939 errichtet. Sie war ein direktes Zahnrad in der Kriegsproduktion, auch wenn„nur“ Lebensmittel produziert wurden. Die Landwirtschaft ging zurück, weil alles vom Krieg beherrscht war.1 Aber die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, die die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen sollten, hatten nur ein Mindestmaß an Ernährung. Das Sauerkraut ging an die Soldaten und an die Besitzer von Lebensmittelmarken. Es ist ebenso ein trauriges Kapitel, wie sie behandelt wurden. Die polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatten ein „P“ sichtbar zu tragen. Jürgen Kuczinski schreibt dazu in„Die Geschichte der Lage der Arbeiter im Kapitalismus“:


„Im Allgemeinen erhalten die fremden Arbeiter die Löhne der deutschen ungelernten Arbeiter in der Industrie, in der sie zu arbeiten gezwungen werden. ... Jedoch erhalten die ersteren nicht die gleichen Leistungen der Sozialversicherung. Überdies werden sie im Allgemeinen in Massenspeisungen abgefertigt, bei denen das Essen, das sie abgetrennt von den deutschen Arbeitern erhalten, von geringerer Qualität ... ist. Sie wohnen im Allgemeinen in Baracken, wo sie am Morgen und Abend wieder massengespeist werden. Die Kosten der Mahlzeiten, die zu hoch angerechnet werden, und die Kosten der Wohnung in den Baracken werden vom Lohn abgezogen. Weiterhin wird auf sie ein starker Druck ausgeübt, Geld nach Hause zu schicken. Das hat zwei Gründe: einmal können sie mit dem nach Hause geschickten Geld keine Waren in Deutschland kaufen und somit nicht den Deutschen Warenmarkt einengen, zweitens macht es einen guten Eindruck und hilft bei der Zwangsrekrutierung in den westlichen Ländern, wenn die Arbeiter Ersparnisse nach Hause senden. Aus all dem geht hervor, dass die fremden Arbeiter wie Sklaven gefüttert und untergebracht werden, ferngehalten von den deutschen Arbeitern, auf niedrigerem Lebensniveau, unfrei und schlimm behandelt in jeder Beziehung. Und doch ist ihr Los an Elend weiterhin übertroffen von dem einer bestimmten Gruppe von ihnen - die mehr als die Hälfte in dieser Zeit ausmacht, die Lage der polnischen Arbeiter ist weit schlechter als die der französischen, holländischen, belgischen usw. Die Lohnbedingungen, unter denen jene arbeiten müssen sind zunächst einmal theoretisch die gleichen, wie die aller anderen ausländischen Arbeiter. Dann aber wird ihnen eine besondere 'soziale Ausgleichsteuer' auferlegt, die folgendermaßen begründet wird. Die polnischen Arbeiter haben stets auf einem besonders niedrigen Niveau gelebt; ihr Lebensstandard ist nicht auf eine Stufe mit dem der deutschen Herrenmenschen zu stellen.… Fernerhin sind die Polen eine Nation, die vom deutschen Faschismus zum Aussterben verurteilt ist.“


Und alle hatten sie Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen auf ihren Höfen missbraucht. Und die Mär, dass sie es überall gut gehabt haben, geht immer noch um. Aber die fünf, die 2006 in Dithmarschen waren, um uns zu berichten, was sich damals wirklich zugetragen hat, haben es deutlich ausgesprochen. Fünf ehemalige polnische ZwangsarbeiterInnen besuchten vom 3. - 9.11. 2006 auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiel zum ersten Mal nach über 60 Jahren Dithmarschen.

Leon Jaworski war 12 Jahre, als er 1943 zur Zwangsarbeit in die Schmiede Wendt nach Windbergen, Kreis Dithmarschen, verschleppt wurde.

Ein Jahr älter war Jan Olewczynski , der bei einer Baufirma in Heide/Holstein als Tischler eingesetzt und kurz vor der Befreiung noch für einige Wochen zur Heider Bahnmeisterei/Deutsche Reichsbahn befohlen wurde.

Antoni Korybski war "bereits" 14 Jahre und bis zu seinem 18. Lebensjahr auf dem Bauernhof von Wilhelm Vollstedt in

Gudendorf.

Irena Frolowicz war auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Dithmarschen. Katarzyna Frankowska ist 1941 im Alter von 19 Jahren nach Heide verschleppt worden - bis Kriegsende. „Ich habe zwei Jahre lang täglich daran gedacht, dann wurde es weniger,“ war ihr Zustand nach der Rückkehr. „Ich wollte alles vergessen, aber die Erinnerungen kommen immer wieder bis heute, auch noch nach 60 Jahren.“ Über Weihnachten oder Geburtstage sagte sie: „Uns war verboten, das zu feiern und nach Singen war uns nicht zumute. ... Gut war nur, dass sie nicht verstanden, wenn wir untereinander sprachen. Aber manchmal verboten sie uns das auch. ... Ein ständiger Begleiter war der Hunger. ... Es gab am Tag eine Wassersuppe mit einem Stück Karotte, so hart wie Holz, und eine Tasse Kaffee.“ Sie zogen in ihrer Not verstorbenen Kameraden die Kleidung aus. Von den Sowjets, die November/ Dezember 1941 in Heide eintrafen, waren einige schon bei der Ankunft tot. Erwin Rehn berichtete es ebenso krass: „Beinahe täglich fuhr der Handkarren mit den großen Rädern die Leichen durch die Stadt (Heide2) und alle haben es gesehen.“ „Oft wurden wir schikaniert, die weiblichen Zwangsarbeiter wurden zwar nicht körperlich misshandelt, die männlich dagegen um so mehr, das ging von Treten, Ohrfeigen, Boxen bis zum blutigen Zusammenschlagen,“ erzählte Katarzina Frankowskaya. „Uns bewachte ein Lagerführer mit einem großen Hund. Manchmal hetzte er 'aus Spaß' den Hund auf uns.“ Sie bezeichnete die Munitionsfabrik Köster als den schlimmsten Ort, den sie kennenlernen musste.3

Hinweise auf Kriegsgefangene gehen aus 11 losen Blättern im meldorfer Stadtarchiv hervor.

1.Blatt: Aus einem Schreiben des Zentral- Justizamtes für die britische Zone vom 6. September 1947 an die VVN in Hamburg ergibt sich, dass in einer Trockengemüsefabrik in Meldorf 55 Polen, 343 Staatsangehörige der Sowjetunion und 6 Franzosen gearbeitet haben. Außerdem waren im Lütjenmarschweg und in der Süderstraße 42 Polen, 26 Italiener und 33 Staatsangehörige der Sowjetunion in Holzbaracken untergebracht, die in örtlichen Handwerksbetrieben und bei der Reichsbahn beschäftigt waren. Unter ihnen sollen 19 Kinder gewesen sein.

2.Blatt: In dem vom Internationalen Suchdienst im Jahre 1949 in Arolsen herausgegebenen "Catalogue of Camps and Prisons in germany and German- Occupied Territories 1939- 45" wird Meldorf mit 600 Zwangsarbeitern erwähnt, die in einem "Civillian workers camp" auf dem Gelände einer Kohlfabrik untergebracht waren und dort wohl auch arbeiten mussten. Es handelt sich dabei um ungefähr

200 Männer und 400 Frauen. Die Angaben stammen von einem der ersten Nachkriegsbürgermeister des Ortes.

3.Blatt: In einem Rundschreiben der Geheimen Staatspolizei (Staatspolizeistelle Kiel) vom 14.12.1939 teilte diese mit: „Im hiesigen Bezirk wurden i n der letzten Zeit durch die zuständigen Stellen an folgenden Orten Arbeitskommandos polnischer Kriegsgefangener eingesetzt.“ Insgesamt wurden 81 Orte mit 2575 Kriegsgefangenen aufgelistet, darunter befand sich Meldorf mit 50 Gefangenen.

Es wurde zusätzlich darauf hingewiesen, dass „diese Einsatzkommandos auch nach staatspolizeilichen Gesichtspunkten überwacht werden müssen. Insbesondere bitte ich, dabei zu beachten, dass die Bevölkerung nach Möglichkeit keinen Kontakt mit diesen Kriegsgefangenen bekommt. Sie sind nach wie vor Feinde. ... Bis zum 30.1.1940 bitte ich um einen Erfahrungsbericht, sowohl über den Arbeits­einsatz als auch über das Verhältnis der Bevölkerung zu den Kriegsgefangenen.“ (Stadtarchiv Neumünster, Akte 2861)

4.Blatt: An den Landrat in Süderdithmarschen. Betrifft: Ausländerpolizei

Der kroatische Staatsangehörige Kucar Mato geb. am 13.1.1925 in Sestrunec, Kr. Ivanec ist am 9. März 1942 in Nürnberg zugezogen und hat in der Aufenthaltsanzeige angegeben, vom 7. Juni 1941 bis 10. Dezember 1941 sich in Meldorf aufgehalten zu haben.

5.Blatt: Gültig vom 1. August 1941 bis zum 31. Juli 1942. Arbeitskarte für den ausländischen Arbeiter Weiß. Geburtsname: Bormann; Vorname: Frieda; geboren: 1. Aug. 1915; weiblich; wohnt in: Meldorf; Staatsangehörigkeit: Ungar; Beruf: Gemüsearbeiterin; 131; Arbeitsbuchnummer: 89 Me/4181; Unternehmer: Trockengemüse; Heide den 20. August 1941; Arbeitsamt Heide i. Holst.

6. Blatt: Gültig vom 1. Mai 1941 bis zum 31. April 1942. Arbeitskarte für den ausländischen Arbeiter Krebs. Vorname: Anton; geboren: 8.12.1895; männl.; wohnt in: Meldorf; Staatsangehörigkeit: ehem. Jugoslawien; Beruf: ldw. Arbeiter 1A2a; Arbeitsbuchnummer: 89Me/4128; Unternehmer: Peter Witt, Meldorf Süd; Heide den 20. Mai 1941; Arbeitsamt Heide i. Holst.

7.Blatt: Es gibt eine meldorfer Begräbnisliste mit 39 Namen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und deutschen Soldaten. Darunter die 25 jährige Sofia Bilinienko, die am 11.4.1944, und die 24 jährige Kasimera Wozniak, die am 5.2.1944 gestorben ist, beides waren Ukrainerinnen. Außerdem ein unbekannter Soldat, der am 14.9.1945 beerdigt wurde. Bis zum 20.3.1945 wurden die ersten 20 der Aufgelisteten - Polen und Sowjetbürger - in Einzelgräber gelegt. Magarmed Chadarjew (27 Jahre alt) wurde erst am 27.7.1945, zweieinhalb Monate nach Kriegsende dort beerdigt, entweder weil er umgebettet wurde oder von der Schwere der Kriegsgefangenschaft nicht wieder genesen ist.

8.Blatt: In einer weiteren Liste werden die Todesursachen angegeben. Es handelt sich zum größten Teil um Arbeitsunfälle, dann kommen Krankheiten durch Mangel (Tuberkulose, Skorbut, Wundstarrkrampf), fünf Selbstmorde und zwei Opfer von Bombensplittern.

Aus einem Verzeichnis kommen noch zwei weitere Sowjetbürger in Einzelgräbern und vier russische Staatsangehörige im „Kameradengrab“ G 70 dazu.

Abbildung 2: Grabstein für Antoni Pragal und Sofia Bilinenko auf dem Friedhof in Meldorf

9.Blatt: Weitere sechs befinden sich in einer namentlichen Liste der Standesamt- Zweitbücher in Meldorf- Stadt von denen Ala Jablonska und Heinz Matuschewke nicht ein Jahr alt geworden sind und Olga Marie Lewandowsky mit fünf gestorben ist. In einer weiteren Liste steht an 11. Stelle die Tochter von Sofia Polec, Irena, geboren 21.3.1945 in Marne, gestorben 24.4.1945 im Gemeinschaftslager, Meldorf. Sie wurde beigesetzt auf der Begräbnisstätte Friedhof Meldorf. Aufgestellt, Meldorf, den 14. März 1946 Der k.(ommissarische) Bürgermeister.

10.Blatt: Am 19.1.1945 wurde der Alliierte Soldat Marcel Henry, Frankreich im Grab M II 64 beigesetzt.

11.Blatt: In einer Liste verstorbener Zivilarbeiter ausländischer Nationen befindet sich als Nr. 43 Josef Nisdroski, Pole, am 30.12.1940 in Harmswöhrden im Alter von 71 Jahren gestorben, der Pole Josef Drewonowski im Alter von 66 Jahren gestorben, der sowjetische Staatsangehörige Anton Stawiski starb in Epenwöhrden mit 40 Jahren und aus Italien kamen der 35 jährige Jazice Munzarini, am 8.10.1944, und der 22 jährige Andrea Marcoaldi, am 14.2.1945 beigesetzt.

Aus dem Heimatgeschichtlichen Wegweiser:

Zum Arbeitseinsatz waren in Meldorf: Das Kommando 184 mit etwa 70 französischen und belgischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten, 120 italienische, polnische und sowjetische ZwangsarbeiterInnen, darunter 19 Kinder, im Lütjenmarschweg und in der Süderstraße. Sie mussten in den Handwerksbetrieben und bei der Bahn arbeiten. In der Kohlfabrik waren 600 Zwangsdeportierte und Kriegsgefangene und in der Trockengemüsefabrik etwas 400, die überwiegend aus der Sowjetunion, aber auch aus Polen stammten. Unter den ausländi- schen Arbeitskräften befanden sich auch etwa 80 Französinnen. Den Kontakt mit ihnen versuchte die NSDAP- Kreisleitung Süderdithmarschen zumindest für die Wehrmachtsangehörigen zu unterbinden. In ihrem Bericht an die Gauleitung vom 4, November 1941 heißt es: „Empörend wirkt es jedoch, wenn Wehrmachtsngehörige sich hierorts in Lokalitäten öffentlich mit Französinnen zeigen. Es erscheint notwendig, dass die Wehrmacht mehr noch als bisher, dies den Wehrmachtsangehörgen entschieden und nachdrücklichst verbietet. Es ist klar, dass die deutsche Bevölkerung für ein solches Verhalten von Wehrmachtsangehörigen kein Verständnis findet...“.

1Nimmt man als Beobachtungszeitraum die Vorkriegsjahre 1933 bis 1939, so schlossen 225000 Handwerker und 135000 Einzelhändler ihre Geschäfte, gaben 230000 Bauern ihre Höfe auf und verließen 1,5 Mill. Menschen den landwirtschaftlichen Sektor. (Aleff, Mobilmachung, S. 116 f, benannt von Jens Peter Biel im Stadtarchiv Meldorf)

2Anmerkung von Gerd Wohlenberg

3Webseite der Fundaczja Polsko Niemiezcki Pojednanie – Stiftung Deutsch Polnische Aussöhnung http://www.fpnp.pl/ unter Zeitzeugen.